Shutter Island
hör jetzt auf zu reden«, sagte Teddy.
Er wollte zu seinen Kindern, wollte sie lebendig machen, sie fortbringen, fort von ihr.
Dolores griff nach seiner Dienstwaffe.
Er umklammerte ihre Hand.
»Ich brauche deine Liebe«, sagte sie. »Du musst mich befreien.«
Sie zog an seinem Revolver, aber er nahm ihre Hand herunter. Er sah ihr in die Augen. Sie waren so hell, dass es weh tat. Es waren nicht die Augen eines Menschen. Vielleicht die eines Hundes. Oder eines Wolfs.
Nach dem Krieg, nach Dachau, hatte er geschworen, er würde nie wieder jemanden töten, es sei denn, ihm bliebe keine andere Wahl. Es sei denn, der andere habe schon auf ihn angelegt. Nur dann.
Er konnte keinen weiteren Tod ertragen. Er konnte es nicht.
Sie zog an seiner Waffe, ihre Augen wurden noch heller, und wieder schob er ihre Hand fort.
Er blickte zum Seeufer hinüber, wo die Kinder säuberlich, Schulter an Schulter, aufgereiht lagen.
Er zog den Revolver aus dem Holster. Zeigte ihn ihr.
Sie biss sich auf die Lippe, weinte, nickte. Sie schaute hoch zur Decke des Pavillons. Sie sagte: »Wir tun so, als ob sie bei uns sind. Wir baden sie, Andrew.«
Da setzte er ihr den Lauf auf den Bauch, seine Hand zitterte, seine Lippen zitterten, und er sagte: »Ich liebe dich, Dolores.«
Und selbst in dem Moment, als er ihr die Waffe auf den Bauch setzte, war er überzeugt, dass er es nicht konnte.
Sie schaute an sich hinunter, als sei sie überrascht, noch da zu sein, ihn noch vor sich zu haben. »Ich liebe dich auch. Ich liebe dich so sehr. Ich liebe dich wie –«
Da drückte er ab. Das Geräusch trat aus ihren Augen, Luft platzte ihr aus dem Hals, sie legte die Hand auf das Loch im Bauch und sah ihn an, mit der anderen Hand griff sie ihm ins Haar.
Und als es aus ihr rann, zog er sie an sich, sie erschlaffte, und er hielt sie fest, hielt sie fest und weinte seine schreckliche Liebe in ihr verblichenes Kleid.
Im Dunkel setzte er sich auf und roch die Zigarette, noch ehe er die Glut sah. Sie glomm auf, als Sheehan an der Zigarette zog. Sheehan beobachtete ihn.
Er selbst saß im Bett und weinte. Er konnte nicht aufhören. Er rief ihren Namen. Er sagte: »Rachel, Rachel, Rachel.«
Er sah ihre Augen, die hoch zu den Wolken schauten, und ihr Haar, das um sie herum trieb.
Als die Krämpfe verklungen, die Tränen getrocknet waren, fragte Sheehan: »Welche Rachel?«
»Rachel Laeddis«, sagte er.
»Und wer sind Sie?«
»Andrew«, sagte er. »Ich heiße Andrew Laeddis.«
Sheehan knipste ein kleines Licht an, das Cawley und einen Wärter hinter den Gitterstäben offenbarte. Der Wärter hatte ihnen den Rücken zugekehrt, aber Cawley hielt die Stäbe umklammert und sah in die Zelle.
»Warum sind Sie hier?«
Er nahm das Taschentuch von Sheehan entgegen und wischte sich übers Gesicht.
»Warum sind Sie hier?«, wiederholte Cawley.
»Weil ich meine Frau getötet habe.«
»Und warum haben Sie das getan?«
»Weil sie unsere Kinder getötet hat und ihren Frieden brauchte.«
»Sind Sie ein U. S.-Marshal?«, fragte Sheehan.
»Nein. War ich mal. Jetzt nicht mehr.«
»Seit wann sind Sie hier?«
»Seit dem 3. Mai 1952.«
»Wer war Rachel Laeddis?«
»Meine Tochter. Sie war vier Jahre alt.«
»Wer ist Rachel Solando?«
»Niemand. Ich habe sie mir ausgedacht.«
»Warum?«, fragte Cawley.
Teddy schüttelte den Kopf.
»Warum?«, wiederholte Cawley.
»Weiß ich nicht, ich weiß es nicht …«
»Doch, Andrew, das wissen Sie. Sagen Sie es mir.«
»Ich kann nicht.«
»Doch, Sie können es.«
Teddy umklammerte seinen Kopf und wiegte sich vor und zurück. »Bitte, ich will es nicht sagen, bitte nicht, Doktor.«
Cawley umklammerte die Gitterstäbe. »Ich muss es hören, Andrew.«
Er sah Cawley hinter den Stäben und wäre am liebsten auf ihn losgegangen und hätte ihm die Nase abgebissen.
»Weil«, sagte er und hielt inne. Er räusperte sich, spuckte auf den Boden. »Weil ich den Gedanken nicht ertragen kann, zugelassen zu haben, dass meine Frau unsere Kinder tötete. Ich habe alle Warnungen missachtet. Ich habe einfach die Augen davor verschlossen. Ich habe die Kinder selbst umgebracht, weil ich Dolores keine Hilfe geholt habe.«
»Und?«
»Und das zu wissen, ist zu viel für mich. Damit kann ich nicht leben.«
»Aber Sie müssen es. Das müssen Sie einsehen.«
Er nickte. Er zog die Knie an die Brust.
Sheehan sah sich über die Schulter nach Cawley um, der sich hinter dem Gitter eine Zigarette anzündete. Er ließ Teddy nicht aus den
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