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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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allerhöchstens an den Füßen fesseln und ansonsten in ihrem Dreck verkommen lassen sollte. Sie wurden systematisch geschlagen, als könnte man ihnen die Psychose damit austreiben. Wir haben diese Kranken dämonisiert. Sie gefoltert. Wir haben sie auf Streckbänken in die Länge gezogen. Haben ihnen Schrauben ins Gehirn gedreht. Manche sogar ertränkt.«
    »Und heute?«, fragte Chuck.
    »Heute behandeln wir sie. Menschlich. Wir versuchen zu heilen, zu kurieren. Und wenn das nicht anschlägt, lassen wir sie hier zumindest ein wenig zur Ruhe kommen.«
    »Und die Opfer?«, warf Teddy ein.
    Cawley hob die Augenbrauen und wartete.
    »Wir haben es hier ausschließlich mit gewalttätigen Straftätern zu tun«, sagte Teddy. »Ist das richtig?«
    Cawley nickte. »Sogar ziemlich gewalttätigen.«
    »Das heißt, sie haben anderen Menschen Schmerzen zugefügt«, fuhr Teddy fort, »sie in vielen Fällen sogar ermordet.«
    »O ja, in den meisten.«
    »Verglichen mit den Opfern: Wen kümmert es, ob die hier ein wenig zur Ruhe kommen?«
    »Ich behandele aber nun mal diese Menschen, nicht ihre Opfer«, entgegnete Cawley. »Den Opfern kann ich nicht helfen. Jede Arbeit oder Aufgabe ist von Natur aus begrenzt. Das sind meine Grenzen. Ich kann mich nur mit meinen Patienten beschäftigen.« Cawley lächelte. »Hat der Senator die Lage erklärt?«
    Teddy und Chuck warfen sich einen Blick zu.
    »Wir wissen nichts von einem Senator, Doktor«, sagte Teddy. »Unsere Dienststelle hat uns mit dem Fall betraut.«
    Cawley stützte die Ellenbogen auf die grüne Schreibtischunterlage, faltete die Hände und ließ das Kinn darauf ruhen. Dann spähte er über den Rand seiner Brille.
    »Mein Fehler. Nun, was hat man Ihnen erzählt?«
    »Wir wissen, dass eine Gefangene verschwunden ist.« Teddy legte das Notizbuch auf seine Knie und blätterte darin herum. »Eine gewisse Rachel Solando.«
    »Eine Patientin.« Cawley grinste ausdruckslos.
    »Eine Patientin«, wiederholte Teddy. »Entschuldigung. Unseres Wissens ist sie in den letzten vierundzwanzig Stunden geflohen.«
    Cawley nickte, indem er Kinn und Hände leicht neigte. »In der letzten Nacht. Zwischen zehn und zwölf Uhr.«
    »Und sie wurde noch nicht gefunden«, stellte Chuck fest.
    »Korrekt, Marshal …« Cawley hob entschuldigend die Hand.
    »Aule«, ergänzte Chuck.
    Cawley zog das Gesicht zusammen. Am Fenster hinter ihm entdeckte Teddy Wassertropfen. Er wusste nicht, ob sie vom Himmel oder vom Meer stammten.
    »Und mit Vornamen heißen Sie Charles?«, fragte Cawley.
    »Ja.«
    »Charles passt zu Ihnen«, sagte Cawley. »Aule nicht unbedingt.«
    »Dann habe ich wohl Glück gehabt.«
    »Warum?«
    »Wir suchen uns unsere Namen ja nicht selbst aus«, sagte Chuck. »Dann ist es doch schön, wenn jemand findet, dass wenigstens einer von beiden passt.«
    »Wer hat denn Ihren Namen ausgesucht?«, fragte Cawley.
    »Meine Eltern.«
    »Nein, Ihren Nachnamen.«
    Chuck zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Da müssten wir zwanzig Generationen zurückverfolgen.«
    »Oder nur eine.«
    Chuck beugte sich vor. »Wie bitte?«
    »Sie sind Grieche«, sagte Cawley. »Oder Armenier. Stimmt’s?«
    »Armenier.«
    »Und früher lautete Ihr Familienname …«
    »Anasmadschian.«
    Cawley sah Teddy mit zusammengekniffenen Augen an. »Und Sie?«
    »Daniels? Irisch in der zehnten Generation«, erwiderte Teddy und lächelte Cawley vorsichtig an. »Und ich kann das zurückverfolgen, Doktor.«
    »Und Ihr Vorname? Theodore?«
    »Edward.«
    Cawley lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ließ die Hände sinken. Mit einem Brieföffner klopfte er auf die Tischkante. Das Geräusch war so leise und beständig wie Schnee, der auf ein Dach fällt.
    »Meine Frau«, sagte er, »heißt Margaret. Aber außer mir nennt sie keiner so. Ihre ältesten Freunde nennen sie Margo, was ja noch einen gewissen Sinn ergibt, aber alle anderen nennen sie Peggy. Das habe ich nie verstanden.«
    »Was denn?«
    »Wie man von Margaret auf Peggy kommt. Obwohl es das häufig gibt. Oder wie man von Edward auf Teddy kommt. In Margaret ist kein P und in Edward kein T.«
    Teddy zuckte mit den Achseln. »Und wie heißen Sie mit Vornamen?«
    »John.«
    »Und werden Sie manchmal Jack genannt?«
    Cawley schüttelte den Kopf. »Die meisten nennen mich einfach ›Doktor‹.«
    Die Wassertropfen sprühten gegen die Scheibe, und Cawley schien mit glänzendem, in die Ferne gerichteten Blick das Gespräch Revue passieren zu lassen. Dann sagte Chuck:

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