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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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»Gilt Miss Solando als gefährlich?«
    »Sämtliche Patienten hier neigen zu Gewalttätigkeit«, entgegnete Cawley. »Deshalb sind sie ja hier. Männer wie Frauen. Rachel Solando ist eine Kriegswitwe. Hat ihre drei Kinder im See hinter dem Haus ertränkt. Eins nach dem anderen nach draußen getragen und den Kopf unter Wasser gedrückt, bis es tot war. Dann hat sie die Kinder zurück ins Haus geschleppt, an den Küchentisch gesetzt und etwas gegessen. Irgendwann kam ein Nachbar vorbei.«
    »Hat sie den Nachbarn auch umgebracht?«, wollte Chuck wissen.
    Cawley hob die Augenbrauen und seufzte leise. »Nein. Sie hat ihn aufgefordert, sich dazuzusetzen und mit ihnen zu frühstücken. Er lehnte natürlich ab und rief die Polizei. Rachel glaubt noch immer, dass ihre Kinder am Leben sind und auf sie warten. Das könnte erklären, warum sie ausgebrochen ist.«
    »Sie will zurück nach Hause«, sagte Teddy.
    Cawley nickte.
    »Und woher kommt sie?«, fragte Chuck.
    »Aus einer kleinen Stadt in den Berkshires. Runde zweihundertfünfzig Kilometer von hier entfernt.« Mit einer Kopfbewegung wies Cawley auf das Fenster hinter sich. »In die Richtung muss man elf Meilen schwimmen, bis man an Land kommt. Richtung Norden müsste sie bis Neufundland durchhalten.«
    »Und das Gelände wurde durchsucht?«
    »Ja.«
    »Gründlich?«
    Cawley ließ sich Zeit mit der Antwort, hantierte mit einem silbernen Pferdekopf herum, der auf der Ecke seines Schreibtischs stand. »Der Direktor hat mit seinen Leuten und einer Abordnung von Pflegern die ganze Nacht und einen Großteil des Vormittags die Insel und jedes Gebäude durchkämmt. Keine Spur. Noch verwirrender ist, dass wir nicht wissen, wie sie aus ihrem Zimmer entkommen ist. Es war von außen verschlossen, das Fenster ist vergittert. Wir haben keinen Hinweis gefunden, dass sich jemand an den Schlössern zu schaffen gemacht hätte.« Cawley wandte den Blick vom Pferd ab und sah Teddy und Chuck an. »Als ob sie sich durch die Mauer verflüchtigt hätte.«
    Teddy schrieb »verflüchtigt« in sein Notizbuch. »Und Sie sind hundertprozentig sicher, dass sie im Zimmer war, als das Licht ausgeschaltet wurde?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Cawley nahm die Hand vom Pferdekopf und drückte auf die Taste seiner Sprechanlage. »Schwester Marino?«
    »Ja?«
    »Sagen Sie bitte Mr. Ganton, er soll hereinkommen.«
    »Sofort, Doktor.«
    Vor dem Fenster stand ein kleiner Tisch mit einem Wasserkrug und vier Gläsern. Cawley ging hinüber und goss Wasser in drei Gläser. Eins stellte er vor Teddy, das zweite vor Chuck, das dritte nahm er mit zu seinem Platz.
    »Sie haben nicht zufällig Aspirin hier, oder?«, fragte Teddy.
    Cawley lächelte leicht. »Das können wir wohl auftreiben.« Er wühlte in der Schreibtischschublade herum und holte ein Medizinfläschchen hervor. »Zwei oder drei?«
    »Drei wären gut.« Der Schmerz hinter Teddys Auge hatte begonnen zu pochen.
    Cawley reichte die Tabletten über den Tisch, und Teddy schob sie sich in den Mund und spülte sie mit Wasser hinunter.
    »Leiden Sie öfter unter Kopfschmerzen, Marshal Daniels?«
    »Werde leider seekrank«, sagte Teddy.
    Cawley nickte. »Aha. Dehydriert.«
    Teddy nickte ebenfalls. Cawley öffnete einen Zigarettenbehälter aus Walnussholz und bot ihn Teddy und Chuck an. Teddy griff zu. Chuck schüttelte den Kopf und holte seine eigene Schachtel hervor. Die drei zündeten sich die Zigaretten an, und Cawley schob das Fenster hinter sich hoch.
    Er setzte sich wieder und reichte ein Foto über den Tisch. Es zeigte eine hübsche junge Frau, doch ihr Aussehen wurde beeinträchtigt von dunklen Ringen unter den Augen, dunkel wie ihr schwarzes Haar. Die Augen waren weit aufgerissen, als drücke von hinten etwas Heißes dagegen. Was auch immer diese Frau neben dem Fotoapparat, neben dem Fotografen, vielleicht hinter der bekannten Welt erblickte – es überstieg ihr Fassungsvermögen.
    Irgendetwas an der Frau war Teddy unangenehm vertraut, dann fiel es ihm ein: Im Konzentrationslager war ein kleiner Junge gewesen, der nichts hatte essen wollen, egal was man ihm gab. Mit ebendiesem Blick hatte er in der Aprilsonne vor der Mauer gesessen, bis sich seine Lider endgültig schlossen. Sie hatten ihn zum Bahnhof gebracht, zu den Leichenbergen.
    Chuck entfuhr ein leises Pfeifen. »Du meine Güte.«
    Cawley zog an der Zigarette. »Meinen Sie damit ihre offenkundige Schönheit oder ihren offenkundigen Wahnsinn?«
    »Beides«, erwiderte Chuck.
    Diese Augen, dachte Teddy.

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