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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Selbst auf Papier gebannt, schrien sie zum Himmel. Man wollte sofort zu ihr und sie beruhigen: »Schon gut. Alles in Ordnung. Pssst. Ruhig.« Man wollte sie festhalten, bis sie nicht mehr zitterte, wollte ihr sagen, es würde alles gut werden.
    Die Tür ging auf, und ein großer Schwarzer mit grau meliertem Haar trat ein. Er trug die weiße Kleidung der Krankenpfleger.
    »Mr. Ganton«, sagte Cawley, »das hier sind die Männer, von denen ich Ihnen erzählt habe: Die Marshals Aule und Daniels.«
    Teddy und Chuck erhoben sich und gaben Ganton die Hand. Der Mann dünstete einen starken Angstgeruch aus, als fühle er sich nicht sonderlich wohl dabei, einen Gesetzesvertreter zu begrüßen. Vielleicht war draußen die eine oder andere Klage gegen ihn anhängig.
    »Mr. Ganton ist seit siebzehn Jahren bei uns. Er ist der Oberpfleger. Mr. Ganton hat Rachel gestern Abend zu ihrem Zimmer gebracht. Nicht wahr, Mr. Ganton?«
    Ganton schlug die Beine übereinander, legte die Hände auf die Knie und beugte sich leicht vor, den Blick auf die Schuhe gerichtet. »Um neun Uhr war Gruppe. Danach –«
    »Das ist die Gruppentherapie unter Leitung von Dr. Sheehan und Schwester Marino«, erklärte Cawley.
    Ganton wartete ab, ob Cawley noch etwas hinzufügen würde, dann setzte er erneut an. »Ähm, ja. Alle waren bei der Gruppe, so um zehn war Schluss. Ich hab Miss Rachel zum Zimmer gebracht. Sie ist reingegangen. Ich hab von außen zugeschlossen. Wenn das Licht aus ist, gucken wir alle zwei Stunden nach. Um zwölf bin ich wiedergekommen. Ich guck rein, und ihr Bett ist leer. Ich denke, vielleicht liegt sie auf dem Boden. Das tun sie oft, die Patienten, auf dem Boden schlafen. Ich schließe auf –«
    »Mit dem Schlüssel, nicht wahr, Mr. Ganton?«, warf Cawley ein.
    Ganton nickte Cawley zu und senkte den Blick wieder auf die Knie. »Ich mach mit meinem Schlüssel auf, weil, die Tür war ja zu. Ich also rein. Miss Rachel ist nirgends zu sehen. Ich schließ hinter mir ab und guck mir das Fenster und die Gitterstäbe an. Sieht alles normal aus.« Ganton zuckte mit den Schultern. »Dann hab ich den Direktor gerufen.« Er schaute Cawley an, der ihm väterlich zunickte.
    »Irgendwelche Fragen, meine Herren?«
    Chuck schüttelte den Kopf.
    Teddy sah von seinem Notizbuch auf. »Mr. Ganton, Sie sagten, Sie hätten den Raum betreten und festgestellt, dass die Patientin nicht da war. Wie genau stellten Sie das sicher?«
    »Wie bitte?«
    »Gibt es einen Wandschrank? Ist Platz unter dem Bett, wo sie sich hätte verstecken können?«
    »Ja, beides.«
    »Und das haben Sie überprüft?«
    »Ja, Sir.«
    »Bei geöffneter Tür?«
    »Wie bitte?«
    »Sie sagten, Sie hätten den Raum betreten, sich umgesehen, aber die Patientin war nicht da. Danach erst hätten Sie die Tür hinter sich geschlossen.«
    »Nein, ähm … ich …«
    Teddy wartete und zog an der Zigarette, die Cawley ihm gegeben hatte. Sie war mild, vollmundiger als seine Chesterfields, und roch auch anders, süßlich.
    »Es hat insgesamt höchstens fünf Sekunden gedauert«, sagte Ganton. »Der Wandschrank hat keine Tür. Ich guck da rein, ich guck unters Bett, dann mach ich die Tür hinter mir zu. Sie hätte sich nirgendwo verstecken können. Das Zimmer ist klein.«
    »Vielleicht hat sie sich an die Wand gedrückt?«, fragte Teddy. »Rechts oder links von der Tür?«
    »Nein.« Ganton schüttelte den Kopf, und zum ersten Mal meinte Teddy in dem gesenkten Blick und der demütigen Haltung Wut zu erkennen, einen tief sitzenden Groll.
    »Das ist unwahrscheinlich«, sagte Cawley zu Teddy. »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Marshal Daniels, aber wenn Sie das Zimmer in Augenschein nehmen, werden Sie sehen, dass Mr. Ganton die Patientin auf jeden Fall entdeckt hätte, wenn sie innerhalb der vier Wände gewesen wäre.«
    »Genau«, bestätigte Ganton und starrte Teddy mit unverhohlener Abneigung an. Der Mann war ungeheuer stolz auf seine Arbeitseinstellung, und Teddy hatte sie durch seine Fragen in Abrede gestellt.
    »Vielen Dank, Mr. Ganton«, sagte Cawley. »Das wäre es fürs erste.«
    Ganton stand auf, ließ den Blick noch kurz auf Teddy ruhen und verabschiedete sich dann mit einem »Vielen Dank, Doktor«.
    Eine Weile schwiegen alle, rauchten die Zigaretten zu Ende und drückten sie im Aschenbecher aus. Dann sagte Chuck: »Ich denke, wir sollten uns jetzt das Zimmer ansehen, Doktor.«
    »Aber sicher«, sagte Cawley und trat mit einem riesengroßen Schlüsselbund hinter dem Schreibtisch

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