Shutter Island
Sie welchen haben«, sagte Chuck.
»Werde schon welchen auftreiben. Und Sie, Marshal Daniels?«
»Mineralwasser mit Eis.«
Der Unbekannte sah zu ihnen auf. »Kein Alkohol?«
Teddy schaute auf den Mann hinunter. Ein kleiner Kopf mit roten Haaren saß wie eine Kirsche auf einem massigen Körper. Der Kerl verströmte eine penetrante Affektiertheit, als verbrachte er jeden Morgen viel Zeit im Badezimmer und verwöhnte sich mit Pudern und parfümierten Ölen.
»Und Sie sind?«, fragte Teddy.
»Das ist ein Kollege von mir«, erklärte Cawley. »Dr. Jeremiah Naehring.«
Der Mann blinzelte zum Gruß, gab ihnen aber nicht die Hand, daher machten auch Teddy und Chuck keine Anstalten, ihn förmlich zu begrüßen.
»Ich bin neugierig«, sagte Naehring, als Teddy und Chuck die beiden Plätze links neben ihm eingenommen hatten.
»Das ist prima«, sagte Teddy.
»Warum Sie keinen Alkohol trinken. Ist es bei Männern in Ihrer Stellung nicht üblich, ordentlich zu bechern?«
Cawley reichte ihnen die Getränke. Teddy stand auf und stellte sich vor das Regal rechts neben dem Kamin. »Durchaus üblich«, sagte er. »Und bei Ihnen?«
»Wie bitte?«
»Wie ist es in Ihrem Beruf?«, fragte Teddy. »Ich hab schon oft gehört, dass es da viele Säufer gibt.«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Wohl nicht genau hingeguckt, was?«
»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Was haben Sie denn da im Glas, kalten Tee?«
Teddy drehte sich zu Naehring um, der einen flüchtigen Blick auf sein Glas warf. Ein verkniffenes Lächeln umzuckte seine vollen Lippen. »Ausgezeichnet, Marshal Daniels. Ihre Selbstverteidigung funktioniert hervorragend. Ich nehme an, dass Sie sich bei Verhören sehr geschickt anstellen.«
Teddy schüttelte den Kopf. Er stellte fest, dass Cawley nur wenig medizinische Fachliteratur besaß, jedenfalls in diesem Zimmer. Einiges stand zwar im Regal, doch die meisten Bücher waren Romane, daneben einige schmale Bändchen, wohl Lyrik, im übrigen meterweise Geschichtsschreibung und Biographien.
»Nicht?«, sagte Naehring.
»Ich bin ein von der Bundesregierung ernannter Marshal. Als solcher suche ich flüchtige Straftäter und bringe sie zur Vernehmung. Mehr nicht. Die Vernehmung selbst übernehmen meistens andere.«
»Ich habe ›Verhör‹ gesagt, Sie nennen es ›Vernehmung‹. Ich muss wirklich sagen, Marshal Daniels, Sie haben eine erstaunliche Selbstverteidigung.« Mehrmals stieß er mit seinem Scotchglas auf den Tisch, als wolle er applaudieren. »Männer der Gewalt finde ich faszinierend.«
»Was für Männer?« Teddy schlenderte zu Naehrings Sessel, sah auf den kleinen Mann hinunter und ließ die Eiswürfel im Glas klirren.
Naehring legte den Kopf in den Nacken und trank einen Schluck Scotch. »Männer der Gewalt.«
»Das ist eine unglaubliche Unterstellung«, entrüstete sich Chuck. Teddy hatte ihn noch nie so wütend gesehen.
»Das ist keine Unterstellung, nein, nein.«
Teddy ließ die Eiswürfel nochmals klirren, dann trank er das Glas aus. Neben Naehrings linkem Auge zuckte es. »Ich muss meinem Kollegen beipflichten«, sagte Teddy und setzte sich.
»Nein«, sagte Naehring gedehnt. »Ich habe gesagt, Sie seien Männer der Gewalt. Damit habe ich Ihnen nicht vorgeworfen, gewalttätige Männer zu sein.«
Teddy grinste breit. »Klären Sie uns auf!«
Hinter ihnen legte Cawley eine Schallplatte auf den Plattenteller. Erst kratzte die Nadel, dann erklang vereinzeltes Knacken und Rascheln. Es erinnerte Teddy an das Geräusch aus der toten Telefonleitung. Schließlich setzte eine wohltuende Melodie aus Streichinstrumenten und Klavier ein. Etwas Klassisches, so viel wusste Teddy. Preußisch. Erinnerte ihn an Cafés in Europa und an die Schallplattensammlung eines Kommandanten in Dachau. Der Mann hatte die Musik aufgelegt und sich dann in den Mund geschossen. Er lebte noch, als Teddy mit vier GIs hereinkam. Gurgelte. Konnte kein zweites Mal schießen, weil die Waffe zu Boden gefallen war. Die sanfte Musik kroch durch den Raum wie Spinnen. Er brauchte zwanzig Minuten zum Sterben. Zwei GIs plünderten das Büro und fragten den Herrn Kommandanten nebenbei, ob er große Schmerzen habe. Teddy hatte ein gerahmtes Foto vom Schoß des Mannes genommen, ein Bild von einer Frau und zwei Kindern. Der Mann hatte die Augen weit aufgerissen und nach dem Foto gegriffen. Teddy hatte einen Schritt nach hinten gemacht und zwischen dem Foto und dem Mann hin- und hergeschaut, immer wieder, bis der Mann starb. Und die
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