Shutter Island
blufft. Aber wenn er ein gutes Blatt hat, was macht er dann? Dann sitzt er ganz lässig da und träumt vor sich hin.«
Treys schallendes Gelächter erfüllte den Raum. Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Und was ist mit Marshal Daniels? Wie verrät der sich?«
Chuck griente. »Ich soll meinen Kollegen verpfeifen? Oh, nein, das mache ich nicht.«
»Ooooch.« Bibby zeigte auf die beiden.
»Kann ich nicht machen.«
»Schon klar, verstehe«, sagte Trey. »Ihr haltet eben zusammen, ihr Weißen .«
Chuck lief rot an. Er schaute Trey an, bis alle Luft aus dem Zimmer gewichen war.
Treys Adamsapfel hüpfte auf und ab, er wollte schon entschuldigend die Hand heben, da sagte Chuck: »Na klar. Was denn sonst?«, und grinste von einem Ohr zum anderen.
»So ein Schweinehund !« Trey schlug Chuck auf die Finger.
»Schweinehund!«, sagte Bibby.
»Stinkender Schweinehund«, sagte Chuck, und die drei kicherten wie kleine Jungen.
Teddy wollte mitmachen, merkte aber, dass es nicht passen würde. Er würde sich anhören wie ein Weißer, der locker drauf sein will. Aber Chuck? Chuck schaffte das irgendwie.
»Und, womit hab ich mich verraten?«, fragte Teddy Chuck, als sie im Dunkeln lagen. Auf der anderen Seite des Raumes schnarchten Trey und Bibby um die Wette. In der letzten halben Stunde war der Regen schwächer geworden, als halte er den Atem an und warte auf Verstärkung.
»Beim Kartenspielen?«, fragte Chuck vom unteren Bett zurück. »Lass gut sein.«
»Nein. Ich will es wissen.«
»Du hast bis heute geglaubt, du wärst ziemlich gut, stimmt’s? Gib’s zu.«
»Ich fand mich nicht gerade schlecht.«
»Bist du auch nicht.«
»Du hast mich abserviert.«
»Ich hab ’n paar Kröten gewonnen.«
»War dein Vater ein Spieler, liegt’s daran?«
»Mein Vater war ein Arschloch.«
»Oh, tut mir Leid.«
»Nicht deine Schuld. Und deiner?«
»Mein Vater?«
»Nein, dein Onkel. Klar, dein Vater.«
Teddy versuchte, sich seinen Vater im Dunkeln vorzustellen, sah aber nur die Hände, überzogen mit Narben.
»Er war ein Fremder«, sagte Teddy. »Für uns alle. Sogar für meine Mutter. Mensch, ich bin mir nicht mal sicher, dass er selbst wusste, wer er war. Er lebte für sein Boot. Als er das Boot verlor, verlor er jeden Halt.«
Chuck sagte nichts, und irgendwann glaubte Teddy, er sei eingeschlafen. Auf einmal sah er seinen Vater vor sich, so wie er an den Tagen, wenn es nichts zu arbeiten gab, auf dem Stuhl gesessen hatte, wie er von den Wänden, der Decke und dem Zimmer verschluckt wurde.
»Hey, Chef!«
»Noch wach?«
»Willst du wirklich aufgeben?«
»Ja. Wundert dich das?«
»Ich mach dir keinen Vorwurf. Ich mein nur, weiß nicht …«
»Was?«
»Ich hab bis jetzt noch nie aufgegeben.«
Eine Weile lag Teddy schweigend da. Schließlich sagte er: »Nicht ein Mensch hier hat uns bisher die Wahrheit gesagt. Wir sind ihr nicht einen Schritt näher gekommen und haben nichts in der Hand, um diese Leute zu zwingen, den Mund aufzumachen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Chuck. »Leuchtet mir ein.«
»Aber?«
»Aber ich hab bis jetzt noch nie aufgegeben, das ist alles.«
»Rachel Solando ist nicht ohne fremde Hilfe barfuß aus einem verschlossenen Raum entwischt. Da wurde ordentlich nachgeholfen. Das ganze Haus hat geholfen. Ich weiß aus Erfahrung, dass man keine Gesellschaft gegen ihren Willen aufbrechen kann. Nicht, wenn wir nur zu zweit sind. Was jetzt bestenfalls passiert: Cawley sitzt jetzt, falls die Drohung angekommen ist, in seinem Herrenhaus und denkt noch mal über seine Entscheidung nach. Morgen früh sagt er vielleicht …«
»Also bluffst du.«
»Das hab ich nicht gesagt.«
»Ich hab gerade mit dir Karten gespielt, Chef.«
Sie schwiegen, eine Weile lauschte Teddy dem Meer.
»Du spitzt die Lippen«, sagte Chuck, und seine Stimme wurde undeutlich.
»Was?«
»Wenn du ein gutes Blatt hast. Ist nur ganz kurz, aber machst du jedes Mal.«
»Aha.«
»Nacht, Chef.«
»Nacht.«
6
SIE KOMMT IHM durch den Flur entgegen.
Dolores mit wütend funkelnden Augen. Irgendwo in der Wohnung schmalzt Bing Crosby »East Side of Heaven«, vielleicht in der Küche. Sie sagt: »Du meine Güte, Teddy. Du liebe Güte.« In der Hand hält sie eine leere Flasche JTS Brown. Seine leere Flasche. Teddy wird klar, dass sie eins seiner Verstecke gefunden hat.
»Bist du überhaupt mal nüchtern? Bist du überhaupt noch mal scheißnüchtern? Antworte mir!«
Aber Teddy kann nicht. Er kann nicht sprechen. Er weiß
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