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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Sturm.«
    »Das war ein Tornado.«
    »Was?«
    »Der sie aus Kansas nach Oz geweht hat.«
    »Aha.«
    Das Pfeifen wurde schriller, und der Wind stürzte sich auf die dicke Steinmauer hinter Teddy, als trommele er mit den Fäusten dagegen. Teddy spürte leichte Erschütterungen im Kreuz.
    »Der macht sich gerade erst warm«, wiederholte er.
    »Was glaubst du, was die ganzen Irren jetzt machen?«
    »Die schreien zurück«, sagte Chuck.
    Eine Weile saßen sie schweigend da und rauchten. Teddy dachte an den Tag auf dem Boot seines Vaters und an seine Erkenntnis, dass die Natur viel stärker war als er und keine Rücksicht auf ihn nahm. Er stellte sich den Wind als Fabelwesen mit Falkenkopf und krummem Schnabel vor, das krächzend über dem Mausoleum schwebte. Ein zorniges Wesen, das Wellen zu Bergen auftürmte, Häuser in ihre Einzelteile zerlegte und ihn packte und bis nach China schleuderte.
    »Ich war ’42 in Afrika«, sagte Chuck. »Hab ein paar Sandstürme mitgemacht. Aber so was wie das hier noch nie. Sicher, man vergisst so einiges. Vielleicht war’s doch genauso schlimm.«
    »Hiermit komme ich schon klar«, sagte Teddy. »Ich meine, ich würde jetzt auch nicht nach draußen laufen und durch die Gegend bummeln, aber Kälte ist noch schlimmer. In den Ardennen, mein Gott, da ist einem der Atem schon auf den Lippen eingefroren. Das kann ich heute noch spüren. Meine Finger waren so kalt, dass es sich anfühlte, als würden sie brennen. Kannst du dir das vorstellen?«
    »In Nordafrika war es die Hitze. Die Kerle kippten um wie die Fliegen. Ohne mit der Wimper zu zucken, zack, lagen sie da. Herzversagen. Ich hab einen erschossen, der hatte von der Hitze so weiche Haut, dass er den Kopf drehen und zugucken konnte, wie die Kugel hinten aus dem Rücken wieder rauskam.« Chuck klopfte mit dem Finger auf die Bank. »Konnte selbst dabei zugucken«, sagte er leise. »Ich schwör’s bei Gott.«
    »War das der einzige, den du umgebracht hast?«
    »Der einzige aus kurzer Distanz. Und du?«
    »Ich hab viele getötet und fast alle aus der Nähe.« Teddy lehnte den Kopf gegen die Wand und schaute hoch zur Decke. »Wenn ich einen Sohn hätte, weiß ich nicht, ob ich ihn in den Krieg gehen lassen würde. Auch wenn es ein Krieg ist wie damals, als wir keine Wahl hatten. Ich weiß nicht, ob man so was von anderen verlangen darf.«
    »Was?«
    »Zu töten.«
    Chuck zog ein Knie an die Brust. »Meine Eltern, meine Freundin oder manche Kumpel, die die Tauglichkeitsprüfung nicht bestanden haben, die löchern mich mit Fragen. Kennst du das?«
    »Ja.«
    »Alle wollen wissen, wie es gewesen ist. Am liebsten würde ich sagen: ›Ich weiß es selbst nicht. Ich war nicht dabei. Ich hab nur von oben zugeguckt.‹« Hilflos streckte Chuck die Hände aus. »Ich kann das nicht besser erklären. Ergibt das ein bisschen Sinn?«
    Teddy sagte: »In Dachau ergaben sich die SS-Leute, als wir kamen. Fünfhundert Mann. Wir hatten Reporter dabei, aber die hatten vorher schon die Leichenberge am Bahnhof gesehen. Und den Gestank gerochen. Sie wollten, dass wir das tun, was wir damals getan haben. Und wir wussten sowieso genau, was wir wollten. Wir haben alle verfluchten Krautfresser exekutiert. Entwaffnet, an die Wand gestellt, erschossen. Mit dem Maschinengewehr dreihundert auf einen Schlag. Dann mit der Pistole die Reihe entlang und jedem eine Kugel in den Kopf, der noch atmete. Ein Kriegsverbrechen, ganz klar. Aber, Chuck, das war das Mindeste, was wir tun konnten. Die verfluchten Reporter haben geklatscht. Die Lagerinsassen waren so glücklich, dass sie geheult haben. Wir haben ihnen ein paar SA-Leute überlassen. Die haben sie richtiggehend zerfetzt. Am Ende hatten wir fünfhundert Seelen von der Erdoberfläche getilgt. Ermordet. Mit Selbstverteidigung oder Kriegsführung hatte das nichts mehr zu tun. Es war Mord. Trotzdem war es eine Grauzone. Diese Schweine hätten noch viel Schlimmeres verdient. So weit, so gut – aber wie lebt man mit so was? Wie erzählst du deiner Frau, deinen Eltern und Kindern, was du getan hast? Dass du Unbewaffnete exekutiert hast? Dass du Kinder getötet hast? Bewaffnete Jungen in Uniform, aber nichtsdestotrotz Kinder. Die Antwort ist: Man kann es ihnen nicht sagen. Sie würden es nicht verstehen. Was du getan hast, hast du aus gutem Grund getan. Dennoch war es falsch. Das wirst du nie wieder los.«
    Nach einer Weile sagte Chuck: »Wenigstens gab es einen guten Grund. Hast du schon mal welche von den armen Schweinen gesehen,

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