Shutter Island
ihr zurück nach Ashecliffe, wo sie Chuck trafen. Zu dritt gingen sie durch einen langen Korridor, der sich über eineinhalb Kilometer erstreckte. Teddy sagte zu Chuck: »Sie bringt mich zu Dolores. Ich gehe nach Hause, Kumpel!«
»Das ist toll!«, sagte Chuck. »Das freut mich. Ich komme nicht mehr von dieser Insel runter.«
»Nein?«
»Nein, aber das ist gut so, Chef. Wirklich. Ich gehöre hierher. Dies ist mein Zuhause.«
»Mein Zuhause ist Rachel«, sagte Teddy.
»Dolores, meinst du.«
»Ja, ja. Was habe ich gesagt?«
»Du hast Rachel gesagt.«
»Oh, tut mir Leid. Glaubst du wirklich, dass du hierher gehörst?«
Chuck nickte. »Ich war noch nie fort. Ich werde nie gehen. Ich meine, sieh dir meine Hände an, Chef.«
Teddy betrachtete sie. Er fand sie völlig normal. Das sagte er auch.
Chuck schüttelte den Kopf. »Sie passen nicht. Manchmal werden die Finger zu Mäusen.«
»Na, dann bin ich froh, dass du zu Hause bist.«
»Danke, Chef.« Chuck schlug ihm auf den Rücken und wurde zu Cawley, und Rachel war ein ganzes Stück voraus, sodass Teddy einen Schritt zulegen musste.
»Man kann keine Frau lieben, die ihre Kinder umgebracht hat«, sagte Cawley.
»Ich schon«, entgegnete Teddy und ging noch schneller. »Das verstehen Sie bloß nicht.«
»Was?« Cawley bewegte sich nicht, hielt aber dennoch mit Teddy Schritt. Er schwebte. »Was verstehe ich nicht?«
»Ich kann nicht allein sein. Ich ertrage es nicht. Nicht in dieser beschissenen Welt. Ich brauche sie. Sie ist meine Dolores.«
»Sie ist Rachel.«
»Ich weiß. Aber wir haben etwas vereinbart. Sie will meine Dolores sein. Ich werde ihr Jim sein. Das ist eine gute Vereinbarung.«
»Aha«, machte Cawley.
Die drei Kinder kamen den Korridor hinunter auf sie zugelaufen. Sie waren durchnässt und schrien wie am Spieß.
»Was für eine Mutter tut so was?«, fragte Cawley.
Teddy sah die Kinder auf der Stelle rennen. Sie waren an ihm und Cawley vorbei, dann veränderte sich die Luft oder etwas anderes, denn sie liefen weiter, ohne vorwärtszukommen.
»Was für eine Mutter tötet die eigenen Kinder?«, fragte Cawley.
»Das wollte sie gar nicht«, entgegnete Teddy. »Sie hatte bloß Angst.«
»So wie ich?«, fragte Cawley, aber nun war er nicht mehr Cawley. Er war Peter Breene. »Sie hat Angst, also bringt sie ihre Kinder um, und das ist in Ordnung?«
»Nein. Ich meine, ja. Ich mag dich nicht, Peter.«
»Und? Was willst du dagegen tun?«
Teddy setzte Peter den Dienstrevolver an die Schläfe.
»Weißt du, wie viele Menschen ich erschossen habe?«, fragte Teddy. Tränen liefen ihm über die Wangen.
»Ähm, nicht«, sagte Peter. »Bitte nicht.«
Teddy drückte ab und sah, wie die Kugel auf der anderen Seite aus Breenes Kopf trat. Die drei Kinder hatten alles mit angesehen und kreischten wie von Sinnen. Peter Breene sagte »Verflucht« und lehnte sich, die Hand auf das Einschussloch gedrückt, gegen die Wand. »Vor den Kindern?«
Dann schrie jemand in der Dunkelheit. Es war sie. Das Geräusch kam näher. Sie war irgendwo im Dunkeln und rannte ihnen entgegen. Das kleine Mädchen sagte: »Hilf uns!«
»Ich bin nicht dein Daddy. Das ist nicht mein Haus.«
»Ich werde Daddy zu dir sagen.«
»Gut«, sagte Teddy seufzend und ergriff die Hand der Kleinen.
Sie liefen über die Felsen hoch über der Küste von Shutter Island, dann wanderten sie auf den Friedhof, und Teddy fand einen Laib Brot und Erdnussbutter und Gelee und machte im Mausoleum Butterbrote, und das kleine Mädchen war so glücklich, setzte sich auf seinen Schoß und aß das Butterbrot. Dann zeigte Teddy dem Mädchen den Grabstein seines Vaters und den Grabstein seiner Mutter und seinen eigenen:
EDWARD DANIELS
SCHLECHTER SEEMANN
1920–1957
»Warum bist du ein schlechter Seemann?«, wollte das Mädchen wissen.
»Ich mag kein Wasser.«
»Ich mag auch kein Wasser. Dann sind wir Freunde.«
»Kann schon sein.«
»Du bist tot. Du hast ein – wie heißt das noch mal?«
»Einen Grabstein.«
»Ja.«
»Dann hast du wohl Recht. In meiner Stadt war keine Menschenseele.«
»Ich bin auch tot.«
»Ich weiß. Das tut mir Leid.«
»Du hast sie nicht aufgehalten.«
»Was hätte ich denn tun sollen? Als ich endlich da war, hatte sie schon, du weißt ja …«
»O nein.«
»Was ist?«
»Da kommt sie schon wieder.«
Und da erschien Rachel neben dem Grabstein, den Teddy im Sturm umgekippt hatte. Sie ließ sich Zeit. Sie war so schön, aus ihrem nassen Haar tropfte der Regen. Das
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