Shutter Island
Polizeibeamter, Doktor. Was auch immer Sie glauben, gesehen zu haben, es stimmt nicht.«
Cawley hob die Hand. »Gut. Wie Sie meinen.«
»Wie ich meine«, sagte Teddy.
Cawley lehnte sich zurück, betrachtete Teddy und rauchte. Teddy hörte den Sturm draußen, fühlte ihn gegen die Mauern drücken, spürte, wie er sich durch Lücken unter dem Dach zwängte. Cawley schwieg und lauerte, und schließlich sagte Teddy: »Sie starb bei einem Brand. Sie fehlt mir wie … Wenn ich unter Wasser wäre, würde sie mir mehr fehlen als Sauerstoff.« Er sah Cawley mit erhobenen Augenbrauen an. »Reicht das?«
Cawley beugte sich vor, gab Teddy eine Zigarette und Feuer. »Ich war mal in Frankreich in eine Frau verliebt«, sagte er. »Aber erzählen Sie das nicht meiner Gattin, ja?«
»Nein, nein.«
»Ich habe diese Frau geliebt, wie man … ach, nichts«, sagte er mit einem verdutzten Unterton. »So eine Liebe lässt sich mit nichts anderem vergleichen, nicht wahr?«
Teddy schüttelte den Kopf.
»Sie ist ein einzigartiges Geschenk.« Cawley sah dem Rauch seiner Zigarette nach, sein Blick verließ das Zimmer, wanderte über den Ozean.
»Was haben Sie in Frankreich gemacht?«
Cawley grinste und drohte Teddy spielerisch mit dem Finger.
»Aha«, machte Teddy.
»Na, egal, jedenfalls wollte sich diese Frau eines Abends mit mir treffen. Sie hat sich beeilt, denke ich. Es war ein verregneter Abend in Paris. Dann ist sie gestolpert. Das war’s.«
»Wie?«
»Sie ist gestolpert.«
»Und?« Teddy starrte Cawley an.
»Nichts. Sie ist gestolpert und auf den Kopf gefallen. War schwer verletzt und ist daran gestorben. Ist das zu fassen?
Im Krieg! Da gibt es hundert Möglichkeiten zu sterben. Und sie stolpert und fällt hin.«
Teddy sah den Schmerz in Cawleys Gesicht, selbst nach so vielen Jahren noch. Er sah das ungläubige Staunen, Zielscheibe eines kosmischen Treppenwitzes geworden zu sein.
»Manchmal gelingt es mir«, sagte Cawley leise, »drei Stunden lang nicht an sie zu denken. Manchmal kann ich mich wochenlang nicht an ihren Geruch erinnern oder an ihren Blick, wenn sie wusste, dass wir an einem Abend Zeit füreinander haben würden, an ihr Haar, wie sie beim Lesen damit spielte. Manchmal …« Cawley drückte die Zigarette aus. »Wohin ihre Seele auch gegangen ist … Wenn sich im Moment ihres Todes, sagen wir mal, ein Tor unter ihr geöffnet und sie verschluckt hat, und wenn ich wüsste, dieses Tor würde sich öffnen, dann würde ich morgen nach Paris fahren und zu ihr hinabsteigen.«
»Wie hieß sie?«, fragte Teddy.
»Marie«, erwiderte Cawley, und selbst das Aussprechen des Namens kostete ihn Überwindung.
Teddy nahm einen Zug von der Zigarette und blies den Rauch langsam aus.
»Dolores«, sagte er, »warf sich im Schlaf immer hin und her, und sieben von zehn Mal hat sie mir dabei ins Gesicht geschlagen, ungelogen. Auf den Mund oder die Nase. Peng , das war’s. Ich hab ihre Hand weggeschoben, klar. Manchmal ziemlich grob. Da schlafe ich so schön und klatsch, bin ich wach. Vielen Dank, Schätzchen. Aber manchmal hab ich die Hand auch liegen lassen. Hab sie geküsst, an ihr geschnuppert, alles Mögliche. Hab sie eingeatmet. Doch, ich würde alles dafür geben, die Hand wieder auf meinem Gesicht zu haben.«
Die Wände bebten, der Wind erschütterte die Nacht.
Cawley beobachtete Teddy, wie man Kinder an einer stark befahrenen Straßenkreuzung beobachtet. »Ich mache meine Arbeit ziemlich gut, Marshal. Ich bin ein Egoist, das gebe ich zu. Mein IQ liegt weit über dem Durchschnitt, schon als kleiner Junge habe ich die Leute durchschaut. Besser als alle anderen. Ich will Ihnen jetzt nicht zu nahe treten, wenn ich das sage, aber haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, dass Sie möglicherweise suizidgefährdet sein könnten?«
»Tja«, sagte Teddy, »da bin ich ja froh, dass Sie mir nicht zu nahe treten wollen.«
»Haben Sie das schon mal überlegt?«
»Ja«, sagte Teddy. »Deshalb trinke ich nicht mehr.«
»Weil Sie wissen, dass …«
»… ich mir schon vor langer Zeit den Lauf in den Mund gesteckt hätte, ja.«
Cawley nickte. »Immerhin machen Sie sich nichts vor.«
»Ja«, sagte Teddy. »Wenigstens das spricht für mich.«
»Wenn Sie fahren«, sagte Cawley, »kann ich Ihnen ein paar Adressen geben. Richtig gute Ärzte. Die können Ihnen helfen.«
Teddy schüttelte den Kopf. »Wir Marshals gehen nicht zu Seelenklempnern. Tut mir Leid, aber wenn das rauskäme, würde ich direkt in Pension
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