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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Vater lag irgendwo auf dem Grunde dieses Meeres. Seine Mutter war gestorben, als er sechzehn war. Tootie Vicelli hatten sie auf Sizilien durch die Zähne geschossen. Er hatte Teddy verwundert angegrinst, als hätte er etwas geschluckt, dessen Geschmack ihn überraschte. Das Blut war ihm aus dem Mundwinkeln gelaufen. Martin Phelan, Jason Hill und der große polnische MG-Schütze aus Pittsburgh waren tot – wie hieß er doch gleich? – Yardak. Genau. Yardak Gilibiowski. Er dachte an den Blonden, der sie in Belgien zum Lachen gebracht hatte. Beinschuss, sah gar nicht so schlimm aus, aber dann hörte es nicht mehr auf zu bluten. Und natürlich an Frankie Gordon, den er an jenem Abend im Cocoanut Grove stehen gelassen hatte. Zwei Jahre später hatte Teddy Frankie eine Zigarette an den Helm geworfen und ihn eine beschränkte Arschgeige aus Iowa genannt, und Frankie hatte erwidert: »Ich hab noch keinen gekannt, der besser fluchen –« und war auf eine Mine getreten. Teddy hatte immer noch einen Teil des Schrapnells in der linken Wade.
    Und jetzt Chuck.
    Würde Teddy je erfahren, ob er ihm hätte vertrauen können? Ob er im Zweifel für den Angeklagten hätte entscheiden sollen? Chuck, der ihn zum Lachen gebracht hatte und mit dem der Großangriff auf sein Hirn in den letzten drei Tagen leichter zu ertragen gewesen war. Chuck, der noch an diesem Morgen gesagt hatte, sie bekämen Eier Benedikt zum Frühstück und dünnes Reuben-Sandwich zum Mittag.
    Teddy schaute zum Rand des Felsgrats hinauf. Er schätzte, dass er die Hälfte hinter sich gebracht hatte. Der Himmel war bereits so blau wie das Meer und wurde immer dunkler.
    Warum war Chuck vom Felsgrat gestürzt?
    Auf keinen Fall aus Versehen.
    Es sei denn, er hatte etwas verloren. Oder unten etwas entdeckt. Hatte, wie nun Teddy, versucht, vorsichtig die Klippe hinunterzuklettern, sich mit Händen und Füßen an Steine geklammert, die ihn dann doch nicht gehalten hatten.
    Teddy blieb stehen und atmete tief durch. Schweiß rann ihm übers Gesicht. Vorsichtig löste er eine Hand vom Fels und wischte sie an der Hose ab. Jetzt fand sie besseren Halt. Als er sich mit der zweiten Hand an einem spitz vorspringenden Stein festhielt, entdeckte er das Papier.
    Es war unter einer braunen Wurzel eingeklemmt und flatterte leicht im Wind. Teddy zog es heraus und wusste, ohne es auseinander zu falten, was es war.
    Laeddis’ Aufnahmeformular.
    Teddy schob es in seine Gesäßtasche und erinnerte sich, wie locker es in Chucks Hose gesteckt hatte. Nun wusste er, warum Chuck hinuntergeklettert war.
    Wegen dieses Zettels.
    Wegen Teddy.
     
    Die letzten sieben Meter bestanden aus Felsblöcken, riesigen, schwarzen, mit Seetang bewachsenen Findlingen. Teddy drehte sich zum Wasser um, sodass er sich mit den Armen im Rücken abstützen konnte. Er schob sich über die Findlinge hinweg und rutschte an ihnen hinunter. Ratten huschten in Felsspalten.
    Als er den letzten Felsbrocken geschafft hatte, war er am Wasser. Sofort lief er zu Chuck. Aber da lag gar keine Leiche. Es war lediglich ein Stein, ausgebleicht von der Sonne und bedeckt von dicken schwarzen Algen.
    Danke, wem auch immer. Chuck war nicht tot. Das hier war ein langer, schmaler, algenbewachsener Felsblock.
    Teddy formte mit den Händen einen Trichter um den Mund und rief Chucks Namen die Klippe hinauf. Er rief immer wieder, seine Rufe schwebten hinaus aufs Meer, prallten von den Felswänden ab und wurden vom Wind fortgetragen. Er wartete, dass Chucks Kopf oben erschien.
    Vielleicht hatte er Teddy unten suchen wollen. Oder er war jetzt gerade dort oben und machte sich für den Abstieg bereit.
    Teddy rief, bis ihm der Hals weh tat.
    Dann wartete er darauf, dass Chuck ihn rief. Mittlerweile war es zu dunkel, um oben den Grat der Klippe zu sehen. Teddy hörte den Wind. Er hörte die Ratten in den Felsspalten. Er hörte eine Möwe krächzen. Den Ozean rauschen. Kurz darauf ertönte das Nebelhorn von Boston Light.
    Teddys Pupillen passten sich der Dunkelheit an, und plötzlich entdeckte er Augen, die ihn beobachteten. Dutzende. Auf den Felsen hockten Ratten und starrten ihn an, ohne jede Angst. Nachts war es ihr Strand, nicht seiner.
    Doch Teddy hatte nur Angst vor dem Wasser. Nicht vor den Ratten. Diese dämlichen kleinen glitschigen Viecher. Notfalls konnte er sie erschießen. Mal sehen, wie viele dann noch frech waren, wenn erst mal ein paar Freunde in Fetzen gerissen wurden.
    Nur hatte er keine Waffe dabei, und die Zahl der Ratten

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