Shutter Island
Hände. Er zog sich hoch und robbte auf Ellenbogen hinein. Raue Wände warfen den Feuerschein zurück. Teddy stand auf. Die Höhlendecke war nur wenige Zentimeter über seinem Kopf. Der Gang bog nach rechts, er folgte ihm und entdeckte einen brennenden Holzhaufen in einem kleinen Loch im Boden. Dahinter stand eine Frau, die Hände auf dem Rücken, und sagte: »Wer sind Sie?«
»Teddy Daniels.«
Die Frau hatte langes Haar und trug das hellrosa Hemd, die Gummizughose und Pantoffeln der Patienten.
»So heißen Sie«, sagte sie. »Aber was ist Ihr Beruf?«
»Ich bin bei der Polizei.«
Sie neigte den Kopf. Ihr Haar wurde von den ersten grauen Strähnen durchzogen. »Sie sind der Marshal.«
Teddy nickte. »Könnten Sie die Hände hinter dem Rücken hervornehmen?«
»Warum?«, fragte sie.
»Weil ich gerne wüsste, was Sie in der Hand halten.«
»Warum?«
»Weil ich gerne wüsste, ob Sie mich damit verletzen können.«
Sie musste grinsen. »Ist wohl nur gerecht.«
»Ich danke Ihnen.«
Sie nahm die Hände hinter dem Rücken hervor. In einer hielt sie ein langes, dünnes Chirurgenskalpell. »Ich behalte es in der Hand, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Von mir aus«, sagte Teddy.
»Wissen Sie, wer ich bin?«
»Eine Patientin von Ashecliffe«, sagte Teddy.
Wieder legte sie den Kopf schräg und zupfte an ihrem Kittel. »Oh. Wodurch habe ich mich verraten?«
»Na gut. Sie haben Recht.«
»Sind alle Marshals so scharfsinnig?«
»Ich habe seit Ewigkeiten nichts gegessen. Bin etwas langsamer als sonst.«
»Viel geschlafen?«
»Bitte?«
»Seit Sie auf der Insel sind, haben Sie da viel geschlafen?«
»Nicht sehr gut, falls das was zu bedeuten hat.«
»Oh, allerdings.« Sie zog die Hose an den Oberschenkeln hoch und hockte sich auf den Boden. Mit einem Wink lud sie ihn ein, es ihr nachzutun.
Teddy kauerte sich hin und schaute sie durchs Feuer hindurch an.
»Sie sind Rachel Solando«, sagte er. »Die echte.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Haben Sie Ihre Kinder getötet?«, fragte er.
Sie stocherte mit dem Skalpell in einem Holzscheit. »Hab nie Kinder gehabt.«
»Nein?«
»Nein. Ich bin nie verheiratet gewesen. Ich war hier, und das wird Sie erstaunen, mehr als nur eine Patientin.«
»Wie soll man hier mehr als nur eine Patientin sein?«
Sie stocherte im nächsten Holzscheit, das mit einem Knirschen zusammensackte. Funken stoben empor und erstarben kurz unter der Decke.
»Ich habe in der Klinik gearbeitet«, sagte sie. »Seit kurz nach dem Krieg.«
»Sind Sie Krankenschwester?«
Sie sah ihm übers Feuer hinweg in die Augen. »Ich war Ärztin, Marshal. Die erste Ärztin am Drummond Hospital in Delaware. Die erste hier in Ashecliffe. Sie haben eine echte Pionierin vor sich.«
Oder eine Irre mit Wahnvorstellungen, dachte Teddy.
Ihr Blick war freundlich, argwöhnisch und wissend zugleich. »Sie glauben, ich bin verrückt«, sagte sie.
»Nein.«
»Was sollen Sie schon denken, wenn Sie eine Frau treffen, die sich in einer Höhle versteckt?«
»Ich habe angenommen, dass es einen Grund dafür gibt.«
Sie lächelte düster und schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht verrückt. Wirklich nicht. Aber genau das würde ein Verrückter auch behaupten. Das ist das Kafkaeske an der Situation. Wenn andere überall herumerzählen, dass man verrückt ist, obwohl es nicht stimmt, dann untermauern alle Beteuerungen des Gegenteils nur diese Behauptung. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Denke schon«, entgegnete Teddy.
»Betrachten Sie es als Syllogismus. Sagen wir, der Syllogismus beginnt mit der Aussage: Geisteskranke leugnen ihre Krankheit. Können Sie mir folgen?«
»Sicher«, sagte Teddy.
»Gut, jetzt der zweite Teil: Bob leugnet, dass er geisteskrank ist. Der dritte Teil, die Schlussfolgerung: Bob ist geisteskrank.« Sie legte das Skalpell zur Seite und stocherte mit einem Stock im Feuer herum. »Wenn Sie für geisteskrank gehalten werden, dann passt alles, das sonst Ihre geistige Gesundheit demonstrieren würde, plötzlich in das Schema geisteskranken Verhaltens. Ihr berechtigter Protest gilt plötzlich als Verdrängung. Ihre verständlichen Ängste werden als Paranoia bewertet. Ihr Überlebensinstinkt wird als Abwehrmechanismus interpretiert. Es ist eine ausweglose Situation. Genau genommen, ist es das Todesurteil. Wer einmal hier ist, kommt nicht mehr heraus. Niemand kann Station C verlassen. Niemand. Gut, ein paar schon, das gebe ich zu. Ein paar sind wieder rausgekommen. Aber die sind vorher operiert
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