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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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worden. Am Gehirn. Schlitz – durchs Auge in den Kopf. Diese Technik ist barbarisch, skrupellos, und das habe ich laut gesagt. Ich habe dagegen gekämpft. Habe Briefe geschrieben. Und sie hätten mich loswerden können, wirklich. Sie hätten mir kündigen oder mich rauswerfen können, dann hätte ich in einem anderen Staat unterrichtet oder sogar als Ärztin praktiziert, aber das hat ihnen nicht gereicht. Sie konnten mich nicht gehen lassen, das war schlicht unmöglich. Nein!«
    Sie hatte sich in ihre Erregung hineingesteigert, stocherte wieder im Feuer, sprach eher mit ihren Knien als mit Teddy.
    »Sie sind wirklich einmal Ärztin gewesen?«, fragte Teddy.
    »Allerdings. Ich war Ärztin.« Sie sah Teddy an. »Genau genommen, bin ich es immer noch. Und ich habe hier gearbeitet. Dann hab ich angefangen, bei großen Lieferungen von Sodium-Amytal und Halluzinogenen auf Opiumbasis genauer hinzusehen. Ich fing an, chirurgische Eingriffe in Frage zu stellen, die mir, vorsichtig ausgedrückt, höchst fragwürdig erschienen – unglücklicherweise fragte ich laut.«
    »Was führen die hier im Schilde?«, wollte Teddy wissen.
    Sie grinste ihn schief an, gleichzeitig schürzte sie die Lippen. »Haben Sie keine Idee?«
    »Ich weiß, dass sie den Nürnberger Code missachten.«
    »Missachten? Der ist hier schlichtweg inexistent.«
    »Ich weiß, dass hier radikale Behandlungsmethoden angewandt werden.«
    »Radikal ja, Behandlungsmethoden nein. Hier wird nicht behandelt, Marshal. Wissen Sie, woher das Geld für dieses Krankenhaus stammt?«
    Teddy nickte. »Vom Komitee für unamerikanische Aktivitäten.«
    »Von den Schmiergeldern ganz zu schweigen«, sagte sie. »Hier fließt genug Geld rein. Und nun sagen Sie mir, wo entsteht Schmerz?«
    »Kommt drauf an, wo man sich verletzt.«
    »Nein.« Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. »Mit dem Körper hat das nichts zu tun. Das Gehirn schickt Neurotransmitter durch das Nervensystem. Schmerz entsteht im Gehirn«, erklärte sie. »Angst entsteht im Gehirn. Schlaf. Mitleid. Hunger. All das, was wir dem Herzen, der Seele oder dem Nervensystem zuschreiben, entsteht letztlich im Gehirn. Alles.«
    »Na gut …«
    Ihre Augen blitzten im Schein des Feuers. »Was wäre, wenn man es beherrschen könnte?«
    »Das Gehirn?«
    Sie nickte. »Einen Menschen erschaffen, der keinen Schlaf mehr braucht, der keinen Schmerz, keine Liebe, keine Zuneigung empfindet. Einen Menschen, den man nicht verhören kann, weil er keine Erinnerung besitzt.« Sie stocherte im Feuer und sah zu Teddy auf. »Hier werden Geister erschaffen, Marshal. Geister, die in die Welt hinausgeschickt werden sollen, um ihren geisterhaften Auftrag auszuführen.«
    »Aber bis es so weit ist, bis man so was kann, das ist doch –«
    »Zukunftsmusik«, gab sie zu. »Stimmt. Es ist eine jahrzehntelange Entwicklung. Der Ausgangspunkt ist ungefähr derselbe wie in der Sowjetunion: Gehirnwäsche. Deprivationsexperimente. So ähnlich wie die Experimente der Nazis mit den Juden, um die Auswirkungen von extremer Hitze und Kälte zu untersuchen. Die Ergebnisse sollten den Soldaten zugutekommen. Verstehen Sie das nicht, Marshal? In fünfzig Jahren werden die Eingeweihten zurückblicken und sagen, ›Hier‹«, sie pochte mit dem Zeigefinger auf den Boden, »›hier hat alles angefangen. Die Nazis haben Juden benutzt. Die Sowjets haben die Gefangenen aus den Gulags genommen. Und hier, in Amerika, haben wir Patienten auf Shutter Island behandelt.‹«
    Teddy sagte nichts. Ihm fiel nichts ein.
    Sie blickte wieder ins Feuer. »Man wird Sie nicht mehr gehen lassen. Das ist Ihnen doch klar, oder?«
    »Ich bin ein Marshal der Bundesregierung«, sagte Teddy. »Wie sollen die mich bitte aufhalten können?«
    Das rief bei ihr ein schadenfrohes Lächeln hervor. Sie klatschte in die Hände. »Ich war eine angesehene Psychiaterin aus einer geachteten Familie. Früher dachte ich, das würde reichen. Ich sage es Ihnen nicht gerne, aber es hat nicht gereicht. Darf ich Sie fragen, ob es in Ihrem Leben irgendwelche Traumata gibt?«
    »Wer hat die nicht?«
    »Aha. Gut. Aber wir sprechen hier nicht über die Allgemeinheit oder andere Menschen. Wir sprechen von Einzelpersonen. Von Ihnen. Haben Sie psychologische Schwächen, die man ausnutzen könnte? Gibt es Ereignisse in Ihrer Vergangenheit, die als auslösende Faktoren einer Geisteskrankheit interpretiert werden könnten? Sodass Ihre Freunde und Kollegen, wenn Sie hier eingewiesen werden, und glauben Sie mir, dazu

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