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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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reingebissen, zerging er einem im Mund.
    Wir diskutierten über die Ratschläge, die uns Onkel Fedja gegeben hatte, und stimmten ihm zu. Wir begriffen, dass wir viel Zeit gespart hätten, wenn wir gleich zu ihm gegangen wären.
    Unterdessen waren auch die anderen gekommen. Sie wirkten müde, fast erschöpft, Grab sah noch lebloser aus als sonst, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich einen hellen blauen Fleck unter seinem linken Auge. Man sah ihnen an, dass sie aufgewühlt waren.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    Gagarin erzählte, dass sie bei ihrem Zug durch die Lokale eine hautnahe Begegnung mit den Arschgesichtern gehabt hatten, von denen Mino erzählt hatte. Sie waren zu siebt und fuhren einen schwarzen Geländewagen mit ukrainischem Kennzeichen. »Wir wollten mit ihnen reden«, sagte er, »aber statt einer Antwort haben sie auf uns geschossen. Einer hat Grab mit so einem japanischen Ding ins Gesicht getroffen.«
    »Mit was?«, fragte Teufel.
    »Na, mit irgend so einem Kampfding aus Ninjafilmen, das man mit den Händen rumwirbelt ... Und als sie dann losfuhren, haben wir versucht, sie aufzuhalten, und auf ihr Auto geschossen, aber es hat nichts gebracht ...«
    »Aber ich könnte schwören, dass ich einem in den Kopf geschossen habe«, warf Dschigit ein.
    »Rad kam mit dem Wagen, aber da war’s schon zu spät, der Geländewagen war verschwunden«, sagte Gagarin. »Von einer Telefonzelle aus habe ich dann zu Hause angerufen und unsere Alten gebeten, in allen Vierteln Sperren errichten zu lassen, um dieses Auto aufzuhalten, ehe es die Stadt verlässt.«
    Ich sah Grabs trauriges Gesicht, das von einem Ding aus japanisch-amerikanischen Actionfilmen getroffen worden war, hörte die Story von Schießereien und Verfolgungsjagden und dachte einen Moment lang, jetzt schnappen wir alle über. Dann wollte ich unbedingt etwas tun, loslaufen, handeln. Aber, wie mein Onkel selig immer sagte: »Die Katze wirft nicht, wann sie will, sondern wenn die Zeit gekommen ist.«
    Ich erzählte Gagarin, was Onkel Fedja gesagt hatte.
    »Kam mir irgendwie auch schon komisch vor, das mit den beiden«, sagte er. »Irgendwas haben die verheimlicht. Sie wollten uns loswerden, Zeit gewinnen ... aber wozu?«
    Wir beschlossen, trotzdem zum Treffpunkt unter der alten Brücke zu fahren.
    »Gagarin«, sagte ich, »vielleicht ist es besser, wenn nicht alle zusammen hingehen. Vorsichtshalber nur drei, oder? Und zu Fuß, damit sie in verschiedene Richtungen fliehen können, falls es Ärger gibt ...«
    Gagarin war einverstanden.
    »Du hast recht, aber einer von den dreien muss ich sein.«
    »Besser nicht«, sagte Mel, »du bist doch von den Alten beauftragt, du trägst die Verantwortung. Wenn dir was passiert, sitzen wir noch tiefer drin.«
    Nach einer kurzen Diskussion entschieden wir, dass Mel, Teufel und ich gehen sollten; die anderen sollten in der Nähe warten und, falls nötig, eingreifen.
    Im Auto besprachen wir uns: Ich sollte in der Mitte bleiben und das Gebiet vor uns und zur Linken kontrollieren, Mel sollte rechts gehen und nach rechts schauen (schließlich hatte er nur sein rechtes Auge), und Teufel sollte etwas zurückbleiben und sich ab und zu bücken und seine Schnürsenkel binden, um die Lage in unserem Rücken zu kontrollieren.
    Wir parkten in einer kleinen Straße in der Nähe der Brücke. Die anderen wollten im Auto auf uns warten. Wir verteilten uns wie besprochen und gingen langsam zur Brücke hinunter, als machten wir nur einen Spaziergang.
    Um die Leute, die auf uns warteten, ein bisschen nervös zu machen, trödelten wir absichtlich und kamen zehn Minuten zu spät.
    Doch als wir unter der Brücke ankamen, war niemand da. Wir sahen uns um, dann liefen wir zu den Autos zurück.
    Jetzt war es wirklich höchste Zeit, den Wart des Zentrums aufzusuchen und mit ihm zu sprechen, wie Onkel Fedja uns geraten hatte. Es war offensichtlich, dass seine beiden Gehilfen Mist gebaut hatten – warum sonst hätten sie uns an der Nase herumführen sollen.

    Wie eine Bomberstaffel rauschten wir Richtung Zentrum. Mit einer Scheißwut im Bauch und finsteren Gesichtern malten wir uns den Aufstand aus, der in der Stadt losbrechen würde, wenn wir unsere Mission erfüllt hätten.
    Mel und ich diskutierten schon über das Schicksal des Warts, als läge es in unseren Händen.
    »Der ist fällig«, sagte Mel. »Wer so viel Schwäche zeigt, den bringen sie um. Von den eigenen Gehilfen verarscht zu werden, ist schlimmer als Verrat.«
    »Degradieren

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