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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Wie ich hinterher erfuhr, haben sie im Krankenhaus die Hände wiederhergestellt. Das war ihm aber keine Lehre, denn anschließend erzählte der Trottel herum, eines Tages würde er sich rächen. Er war aber nicht schnell genug, kurz darauf starb das Viech bei einem Schusswechsel mit den Kötern. Deshalb weitete Krümel seinen Hass auf unser ganzes Viertel aus und schloss ein Bündnis mit dem Geier, um uns zu vernichten.Angeblich hatten sie sogar auf dem städtischen Friedhof eine schwarze Messe gefeiert, in deren Verlauf sämtliche Jungen aus der Unterstadt mit einem Fluch belegt wurden.

    Ich nahm zwei Molotowcocktails und gab Dscheka und Finger auch zwei. Mel nicht, er hatte als kleiner Junge mal einen zu steil nach oben geworfen, die Flasche war im Flug zerbrochen, und wir hatten im Feuerregen gestanden. Seitdem durfte er nur noch Streichholz und Feuerzeug bedienen.
    Ich schüttelte die Flaschen ordentlich, damit der Sand aufgewirbelt wurde, zündete die Lumpen an, trat hinter der Mauerecke hervor und warf zwei Molotowcocktails gleichzeitig auf die Truppe. Sofort griff ich nach den nächsten, zündete sie an und weg damit, immer so weiter.
    Der Feind geriet in Panik, Jungen mit verbrannten Gesichtern warfen sich in den Schnee, überall loderten die Flammen, jemand rannte so schnell davon, dass er im Nu aus unserem Blickfeld verschwunden war.
    Zu dritt hatten wir die Kiste in weniger als einer Minute geleert. Mel hatte das Streichholz noch nicht ausgepustet, da waren wir schon fertig.
    Ich zog die beiden Messer und stürzte mich auf einen, der sich gerade hochrappelte und nach einem Stock griff. Er hatte keine Verbrennungen, das Feuer hatte nur seine Jacke erfasst, und er hatte sich noch rechtzeitig im Schnee wälzen können. Er war stinkwütend und schrie die ganze Zeit wie ein Krieger. Er versuchte ein paarmal, mich zu treffen, und hielt mich auf Abstand. Aber dann wich ich seinem Hieb aus, indem ich mich auf den Boden warf und vor seine Füße rollen ließ, und stach ihm mit dem Messer ins Bein. Mit dem anderen Bein traf er mich im Gesicht,meine Lippe platzte auf, und ich schmeckte das Blut im Mund. Aber unterdessen hatte ich ihm das Messer schon ein paarmal in den Oberschenkel gerammt und die Sehne unter dem Knie durchtrennt.
    Mel hinter mir hatte bereits drei niedergerungen, der eine hatte das Gesicht halb verbrannt, der andere drei Platzwunden am Kopf, aus denen das Blut nur so heraustriefte: schwarzes Blut, wie aus der Leber, nur dicker. Der dritte hatte einen gebrochenen Arm. Mel war im Zustand der Raserei, er stapfte mit einem Messer im Bein herum.
    Finger stand an der Mauer, zu seinen Füßen lagen ebenfalls drei, alle mit Kopfverletzungen, einem ragte unterhalb des Knies ein gebrochener Knochen aus dem Bein.
    Auch Dscheka lehnte an der Mauer, er hatte einen Schlag an die Stirn abbekommen: nichts Schlimmes, aber man sah, dass er Angst hatte.
    Die beiden Verrückten, Fima und Iwan, massakrierten gemeinsam einen Riesen, einen Giganten, der auf dem Boden lag und aus irgendeinem obskuren Grund den Holzknüppel nicht loslassen wollte, den er in der Hand hielt. Sein Gesicht sah aus wie Hackfleisch, er hatte schon längst das Bewusstsein verloren, aber den Knüppel wollte er trotzdem nicht loslassen. Ich beugte mich über ihn und bemerkte, dass der Knüppel mit einer elastischen Binde am Handgelenk festgebunden war. Als Gruß aus Sibirien schnitt ich die Sehnen unter dem Knie durch: Der Kerl regte sich nicht, er war völlig weggetreten.
    Ich zog das Messer aus Mels Bein. Dann holte ich die elastische Binde und riss sie mitten durch, einen Teil legte ich als Kompresse auf die Wunde, mit dem anderen legte ich einen Druckverband an. Mel wollte die Hose nicht wieder anziehen, die er heruntergelassen hatte, damit ich ihn verarzten konnte. Ein bisschen frische Luft täte ihm gut, sagte er, der Vollidiot.
    Mit einem breiten Lächeln sah Finger Fima und Iwan an, und die beiden fühlten sich wie Helden, stolz schwenkten sie ihre Eisenstangen.
    Ich half Dscheka auf. Er war in Ordnung, nur dass er sich nach dem Schlag zugleich betäubt fühlte und aufgeregt war. Ich zog ein Bonbon aus der Tasche:
    »Nimm, Bruder, aber langsam kauen. Das beruhigt.«
    Das war natürlich Quatsch, aber wenn einer daran glaubt, kann ein Bonbon wie ein Beruhigungsmittel wirken. »Psychologischer Faktor«, nannte mein Onkel das. Er hatte mal einem Zellengenossen das Rauchen abgewöhnt, indem er ihm das Märchen auftischte, wenn er sich eine halbe

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