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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kniesehne.
    Dscheka schlug auf einen anderen ein, der ohnmächtig zusammenbrach. Aus seinem Ohr rann Blut. Der Dritte floh in einen der Höfe, aus denen sie gekommen waren.
    Fima und Iwan, die mit Stöcken bewaffnet waren,massakrierten derweil am Gehweg zwei Typen, die schon auf dem Boden lagen. Einer war übel zugerichtet, Fima hatte ihm garantiert die Nase zertrümmert, das Gesicht war blutüberströmt; instinktiv hob er die zitternden Hände, um das Gesicht vor den Schlägen zu schützen, aber Fima drosch trotzdem drauf und mit solcher Gewalt, dass der Stock von diesen Händen zurückprallte, als ob sie aus Holz wären, wie bei einer Marionette: Fima hatte sie ihm offenbar gebrochen. Voller Wut, wie rasend schlug Fima immer weiter auf ihn ein und schrie:
    »Wer will hier einen sowjetischen Seemann umbringen? Hm? Was ist? Wer ist der Scheiß-Faschist?«
    Unterdessen schlug Iwan mit dem Stock nach dem Gesicht des anderen Angreifers, aber der wand sich zur einen oder zur anderen Seite und wich den Hieben geschickt aus. Plötzlich wäre es Iwan beinahe gelungen, aber im letzten Moment verfehlte er das Gesicht und hieb mit dem Stock auf den gefrorenen Asphalt, auf dem roter Schnee lag, rot von dem Blut, das gefror, sobald es auf den Boden traf. Der Stock zerbrach, und Iwan wurde nun so richtig wütend und warf den Rest fort. Dann sprang er mit beiden Beinen auf den Kopf seines Gegners und begann, das Gesicht des Jungen mit den Füßen zu traktieren, wobei er ein seltsames Kriegsgeheul ausstieß, wie in amerikanischen Western die Indianer, die Cowboys angreifen.
    Die beiden waren echt wahnsinnig.
    Im Nu war der Kampf beendet.
    Auf der anderen Straßenseite stand Finger, ein Messer und einen Stock in den Händen, und zu seinen Füßen lag ein Junge mit einem Schnitt, der am Mund begann und mitten auf der Stirn endete: zu tief, eine schlimme Sache. Der Junge lag da, bei Bewusstsein, aber reglos, völlig verschreckt von Blut und Schmerzen, nahm ich an.
    Mel hielt den Typ, dem er vorher das Messer in denBauch gerammt hatte, beim Kragen gepackt. Erstaunt betrachtete er sein zerbrochenes Messer. Ich ging zu ihm und riss dem Typen mit einem Ruck die völlig durchlöcherte Jacke herunter. Zwanzig dicke Zeitungen, die miteinander verklebt waren, fielen auf den Schnee: Aus diesem Packen Papier lugte das fehlende Stück von Mels Klinge.
    Ungläubig betrachtete Mel die Szene, als wäre das Ganze ein Zaubertrick.
    Ich hob den Packen Papier auf und wog ihn in der Hand. Dann haute ich Mel, so fest ich konnte, dieses Bündel Zeitungen um die Ohren, was ein lautes Geräusch produzierte, wie eine Axt, die einen Baumstamm spaltet.
    Seine Wange wurde sofort rot, Mel ließ den Hals des Jungen los und fasste sich an die getroffene Stelle. Erregt fragte er mich:
    »Was ist denn mit dir los? Warum bist du denn so sauer?«
    Ich schlug ihn noch mal, er machte zwei Schritt rückwärts und hob die Hand, um mich aufzuhalten.
    Ich antwortete ihm:
    »Was hab ich dir gesagt, du Idiot, auf die Oberschenkel zielen, nicht auf den Oberkörper! Während du bei diesem Fixer den Affen gemacht und die Schläge von seinen drei Freunden kassiert hast, hab ich um mein Leben gekämpft, verdammt, um ein Haar hätte ich dran glauben müssen! Und wo warst du, wieso hast du mir nicht den Rücken freigehalten?«
    Sein Gesicht wurde mit einem Mal todtraurig – gesenkter Blick, gebeugter Kopf, leicht geöffneter Mund –, und mit der Stimme von einem, der um Almosen bittet, murmelte er unverständliche Sätze, wie jedes Mal, wenn er etwas angestellt hatte:
    »Ha–m-m-m ... Kolima ... i-i-ich wollte doch nu-u-u-r … ghm-hm-hm ... tschu-hu-huldigung ...«
    »Deine Entschuldigung kannst du dir in die Haare schmieren«, unterbrach ich ihn. »Ich will nach Hause und meinen Geburtstag feiern, nicht meine Beerdigung. Und hör mir gefälligst zu, wenn ich was sage. Es ist jetzt nicht die Zeit, den Idioten zu spielen, diese beschissene Sache hier könnte uns den Kopf kosten. Und vergiss nicht, wir sind nicht allein, da sind noch andere, die helfen uns, wir dürfen sie nicht unnötig der Gefahr aussetzen. Gott sei Dank, dass sie da sind, denn mit einem Freund wie dir wäre ich jetzt tot.«
    Mel wurde noch kleinlauter und verwandelte sich, wie immer bei solchen Gelegenheiten, in meinen persönlichen Schatten. Mit ein bisschen Verspätung begann er mir den Rücken freizuhalten.
    Die Straße war zum Schauplatz eines Blutbads geworden, der Schnee war tiefrot, übel zugerichtet

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