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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und die europäischen Küsten? Wir selbst sind uns wichtiger … und da, Jugorow, da beginnt's! Wir verlieren hier unser Land. Der Tobol und alle anderen Flüsse werden leer von Fischen sein. Entlang des Kanals wird man Industrien bauen, umsiedeln will man uns … wohin, das sagt man nicht. An den Amudarja etwa? Bebaut das neue Land! heißt es. Macht aus der Wüste einen Garten. Wer fressen will, muß auch arbeiten! So wird's wohl kommen, Igor Michailowitsch. Neue Sklaven werden wir, zwangsangesiedelt wie früher die Sibirienverbannten … Jahrhunderte löscht man hier aus … darum geht's! Nicht um Europa, um Hamburg, Hollands Küsten und was da alles unter Wasser stehen soll. Für unsere Heimat kämpfen wir, nicht um die trockenen Füße der Deutschen!«
    »Laßt sie ersaufen!« schrie Großväterchen und schulterte militärisch seinen Stock. »Weg mit den ewigen Faschisten! Und dann verteilen wir sie an unsere Freunde, die sechstausend Klopse!«
    Es war nicht mehr zum Aushalten. Aber wer entfernte den Alten? Wer faßte ihn an? Er klimperte mit den Orden, und das war, als trage er einen Panzer. Man kann doch einen Veteranen nicht so einfach vor die Tür tragen und draußen absetzen …
    »Dein Vortrag ist in der Tat merkwürdig, Igor Michailowitsch«, sagte nun auch Goldanski und schüttelte den Kopf. »Wir setzen unser Leben doch nicht ein für fremde Küsten.«
    »Die ganze Welt wird gegen uns sein – ist schon gegen uns, wenn der Kanal gebaut wird.«
    »Am Arsch kann sie uns lecken!« sagte Masuk dumpf. »Am Arsch! Hier wohnen will ich bleiben, wo die Masuks schon zweihundert Jahre wohnten; das ist alles.« Er starrte Jugorow böse und haßerfüllt an. »Bist du der Spezialist für die Deutschen, he?! Oder für die Holländer, Belgier, Franzosen, Spanier, Engländer … was weiß ich?! Mein Haus will ich behalten, darum geht's! Lauf weg, du Spezialist, wenn du für die anderen Völker arbeitest. Wer braucht dich hier? Keiner von uns. Wir helfen uns selbst. Wir haben alles, was nötig ist; und was uns fehlt, das holen wir uns! Weg mit dir …«
    »Ihr tötet Menschen, hab' ich schon mal gesagt. Unschuldige Menschen … Wenn's so weitergeht, könnt ihr eure Häuser mit Blut anstreichen.« Jugorow sah Masuk in die vor Zorn rollenden Augen. »Von deinen Spezialbomben habe ich gehört. Sie sind sinnlos, hinterhältig, Mordwerkzeuge! Menschen zerreißen sie, aber nicht den Kanal!«
    Der Augenblick war gekommen, den man bei Masuk immer fürchtete. In seinem Kopf zerplatzte die Vernunft. Mit einem Satz war er um den Tisch herum, stürmte auf Jugorow zu, den Kopf gesenkt wie ein Kampfstier, die Arme weit vorgestreckt.
    »Urrrääää!« schrie Großväterchen voller Erinnerung an ferne Sturmangriffe. »Urrräää!«
    Und dann geschah das Unfaßbare. Kaum hatte Masuk, besinnungslos vor Wut, den völlig ruhig dastehenden Jugorow erreicht, da machte dieser eine elegante Bewegung, griff in die Arme des Muskelklotzes, duckte sich etwas, riß Masuk hoch, ließ ihn über seine Schulter gleiten, und mit einem gewaltigen Krach landete Lew Andrejewitsch an der Wand der Stolowaja. Mit dem Kopf schlug er dagegen, blieb wie betäubt liegen und biß in seine rechte Faust. Korolew, Rudenko, Goldanski und alle im Saal starrten Jugorow fassungslos an.
    Masuk war wie ein Ball durch die Luft geflogen. Ja, gab es denn so was?!
    Man wartete mit Spannung, was nun weiter geschah. Masuk rappelte sich auf, tödlicher Haß sprühte aus seinen Augen, gegen die Wand lehnte er sich – aber klug genug war er trotz aller Wut, nicht wieder auf Jugorow loszustürmen. Nur Großväterchen, wen wundert's noch, schlug mit seinem Stock um sich wie früher mit seinem Säbel und schrie mit heller, durchdringender Stimme:
    »Brüder! Soldaten! Alle auf ihn … die Masse macht's!«
    Jugorow trat einen Schritt zurück und drehte sich zu Korolew um. »Verstehst du auch nicht die Problematik, Grigori Valentinowitsch?« fragte er, sichtlich erschüttert.
    »Wohl, wohl …«, Korolew begann zu stottern. »Aber Europa ist so fern … uns allen so fern … Und weiß man, ob das stimmt … das mit der Erwärmung des Nordpols.«
    »Es stimmt. In der ganzen Welt versucht man, die Genossen in Moskau umzustimmen. Genau wie ihr sagen sie in Moskau: Was gehen uns die Küsten Europas und die anderen Küsten an? Kein Skilaufen mehr in den Alpen – was soll's?! In Kasachstan und Usbekistan warten fünfzig Millionen Hektar Land auf das Wasser, um fruchtbar zu werden. Nur Neid

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