Sibirisches Roulette
Auch ihnen wird Nasarow den Boden heiß machen. Was kann ein Zivilist gegen das mächtige Militär ausrichten?
Außerhalb von Lebedewka fragte Krasnikow, der am Steuer saß: »Babrak Awdejewitsch, was hältst du von der Sache?«
»Von welcher?« fragte Meteljew zurück. »Wir haben zwei, Victor Ifanowitsch.«
»Zuerst von Nasarow.«
»Ein Schwein.« Meteljew lehnte sich im Sitz bequem zurück. »Ein Schwein ist dazu da, daß man es schlachtet.«
»Und Korolew?«
»Ein salbungsvoller Halunke. Vorsichtig wie ein jagender Fuchs. Mehr weiß er, als er sagt.«
»Der Bericht von Kulinitschs Ermordung?«
»Ist wahr. Keine Zweifel, Victor Ifanowitsch. Nasarow ist untragbar geworden. Ein Eisenklotz am Bein.«
»Niemand wird beweisen können, was für ein Hund er ist.« Krasnikow gab mehr Gas; was er von Korolew gehört hatte, war in der Tat ein starkes Stück. »Nur er selbst kann es gestehen. Dazu sollten wir ihn bringen.«
»Auch mein Gedanke.« Meteljew legte die Hände aneinander und blickte in die herbstliche Landschaft. Die Wälder verfärbten sich, dazwischen lagen kleine Seen wie blanke, blaue Augen in einem zerfurchten Gesicht. Ein Schwarm von Wildenten flatterte auf, hochgeschreckt vom Lärm des Automotors. »In den Dreck getreten hat er die Ehre der Offiziere. Auch im Sinne wär's von General Tjunin … Probleme unauffällig lösen. Nasarow ist einfach nicht mehr da. Vermißt, verschwunden.«
»Und belasten damit wird man das Dorf.« Krasnikow nahm das Gas etwas weg. »Jeder wird es glauben: Die haben Nasarow wegen Beljakow zur Seite gebracht.«
»Ein sehr vernünftiger Gedanke, Victor Ifanowitsch. Wenn sich der Spezialist im Dorf versteckt, wird er in Not kommen. Eine hervorragende Kettenreaktion. So sollten wir es wirklich machen.« Meteljew rieb sich die Hände und begeisterte sich an dem Gedanken. »Nasarow ist so wertvoll wie ein Tresorschlüssel.«
»Den wir noch nicht haben, Babrak Awdejewitsch.« Krasnikow fuhr zunehmend langsamer. Auf der Straße, im Wagen, war besser zu planen als im Lager. »Bisher ist Nasarow noch nie allein aus seiner Kommandantur gekommen. Immer war er in Begleitung.«
»Allein hat er Schemjakin besucht …«
»Draußen wartete sein Jeep mit zwei Rotarmisten.«
»Dann sind es eben drei. Siehst du da Schwierigkeiten, Victor?«
Nein, die gab es nicht. In Gorkij hatten sie gelernt, einen zahlenmäßig überlegenen Gegner zu besiegen. Ein Schüler von Oberst Tobombajew verzagte nie, und sie waren die besten Schüler des Lehrgangs gewesen.
»Wir haben Zeit«, sagte Krasnikow. »Zeit ist unser größtes Kapital. Die Ruhe wird den ›Spezialisten‹ unvorsichtig machen, und Nasarow wird einmal allein sein. Wer drängt uns, Babrak?«
»Tjunin!«
»Nein. Nur Erfolge will der General sehen, nichts weiter.«
»Neue Bomben werden explodieren, und uns wird man dafür verantwortlich machen.« Meteljew öffnete noch einen Hemdenknopf. Ein warmer Tag war's wieder, ein selten schöner Herbst; die Natur starb langsam in den Winter hinein mit aller Pracht ihrer tausend Farben. »Wir wissen, der ›Spezialist‹ ist hier, wir haben zweimal seinen Funksender im Gerät gehabt.«
»Zu kurz …«
»Aber er ist in unserer unmittelbaren Nähe, Victor. Und ich halte meinen Kopf dafür hin: Er lebt in Lebedewka.«
»Ungeduld war schon immer die Mutter des Mißerfolgs!« sagte Krasnikow und schüttelte den Kopf. »Babrak Awdejewitsch, der Spezialist muß etwas tun, um sich zu verraten. Einen Köder sollten wir ihm hinhalten wie einem hungrigen Wolf ein Stück Fleisch.«
»Hast du einen Köder, Victor?«
»Ja: Nasarow!«
»Wie unsere Gedanken doch Brüder sind!« rief Meteljew begeistert aus. »Nur mit der Zeit, da schwimmen wir auseinander …«
Sie waren beide sehr zufrieden, als sie die Einfahrt von Nowo Gorodjina erreichten. Am Hospital kamen sie vorbei und wunderten sich über die lange Schlange Männer, die vom Inneren bis weit auf die Straße hinaus reichte. Krasnikow bremste.
»Was gibt's, Genossen?« rief er den Männern zu. »Irgendeine Sonderzuteilung?«
»So kann man's auch nennen!« schrie einer aus der Reihe fröhlich zurück. »Stellt euch an, es langt noch für zwei!«
Die Männerschlange wieherte vor Lachen, und ein anderer brüllte: »Juckt und zuckt's euch zwischen den Beinen? Nein? Was soll's?! Aber vorzeigen könnt ihr ihn … ein bißchen Abwechslung, Genossen …«
Krasnikow fuhr weiter. Meteljew grinste breit, auf das Armaturenbrett trommelte er mit allen
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