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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anzuhören?! Das ist zuviel …« Aber bevor er das Schreiben zerreißen konnte, hatte es Beljakow II, sein Sohn, ihm aus den Fingern gewunden und in Sicherheit gebracht. Verhindern konnte er allerdings nicht mehr, daß Großväterchen es gezielt bespuckte.
    Ebenfalls an diesem Abend holte Jugorow in einem neuen Hemd und einer neuen Hose Walja Borisowna ab. Im Magazin, wo man alles kaufen konnte, was einen Menschen kultivierter macht, gab es auch Bekleidung – zwar nicht das Modernste und Beste, aber immerhin tragbar und hier in den Sümpfen ein wahrer Luxus.
    Mit einer etwas mitleidigen Miene hatte Jugorow später das Magazin verlassen; ein Jammer war's, daß auch dieses Haus das Opfer einer Bombe sein würde. Kein Menschenleben durfte vernichtet werden, nur Material; das allein war wichtig. Wieder ein Nadelstich in den gigantischen Leib des Kanalbaus.
    In Schemjakins Haus begrüßte er mit einem Händedruck den Genossen Niktin, der in einer Ecke des Zimmers saß und seine Rede studierte, hier und da im Text verbesserte und hingerissen einmal sogar laut deklamierte: »Wir werden eine Nation sein, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat …«
    Walja sah müde aus, als sie Jugorow vor allen Anwesenden einen Kuß gab, auch deshalb, um zu demonstrieren: Wir lieben uns; wagt nicht, uns zu trennen! Ihre Mutter Olga Walerinowna seufzte in sich hinein, und Schemjakin stellte fest: »Sie haben eingekauft, Jugorow?«
    »Ja, Boris Igorowitsch. Zeit wurde es; die alte Kleidung wäre zu Staub geworden, wenn man sie ausgeschüttelt hätte. Hab' mir von der Lohnkasse einen Vorschuß geben lassen.«
    »Was hast du vor?« fragte Walja, als sie vor dem Haus standen.
    »Die Natur genießen. Bist sehr müde, Walja?«
    »Das bin ich.«
    »Anstrengend muß es sein, hundert verschiedene …«
    »Igor Michailowitsch!« sagte Walja warnend. Sie war nicht in Stimmung, solcherart Witze aufzunehmen.
    »War's denn erfolgreich?«
    »Gibt es nichts anderes zu bereden?« Sie ging ihm voraus, und er mußte drei Schritte schneller laufen, um sie wieder einzuholen. »Zwölf Kerle haben einen Tripper. Zufrieden?« Giftig klang das; der schwere Tag zerrte an ihren Nerven, wer kann's nicht verstehen?
    Sie gingen die Straße hinunter, die am Waldrand endete, nicht untergefaßt wie ein Liebespaar, sondern nebeneinander. Jugorow drängte sich nicht auf. Da ist irgend etwas anderes, das sie bedrückt, dachte er. Nicht allein die Parade der nackten Männer kann es sein; wie könnte eine Ärztin so etwas aufregen!
    Plötzlich, am Stumpf eines dicken, gefällten Baumes, blieb Walja stehen und setzte sich auf den Stamm.
    »Sie hat dich gestern abend wieder abgeholt«, sagte sie und blickte auf den von den Holzfällern zertretenen Waldboden. »Auch wenn sie eine Werst außerhalb wartete – man hat euch doch gesehen. Was hat Soja, das ich nicht habe?«
    »Ein Motorrad.«
    »Ich besitze einen Jeep.«
    »Mit dem ich allein nicht fahren kann. In Lebedewka war ich, bei neuen guten Freunden. Wie komme ich sonst hin?«
    »Ihr trefft euch außerhalb von Nowo Gorodjina. Heimlich, wie Verschworene oder wie zwei verbotene Liebende …«
    »Nur deinetwegen, Walja.«
    »Erklär mir das.«
    »Wenn Soja durch das Lager gefahren wäre, zu mir – oje, welch einen Streit hätte eine gewisse Walja Borisowna mit mir angefangen!«
    »Du siehst: Erfahren tu ich's doch!«
    »Und fängst Streit an …«
    »Nur traurig bin ich, Igor, sehr traurig. Ein solches Weibsstück!«
    »Alle verachtet ihr sie, weil sie anders ist als ihr. Du kennst nicht ihr schweres Leben, aber sie nimmt es tapfer hin. Ihr Vater und schon ihr Großvater waren Ausgestoßene – warum, das weiß ich noch nicht. In die Stadt wanderte sie aus, arbeitete hart, konnte sich einen Traum erfüllen – ein Motorrad – und kam zurück aus einer freieren Welt in die dumpfen Sümpfe. Trägt seitdem die Kleidung der Städter, kurze Röckchen, leichte Blusen statt der handgewebten Röcke und Baumwollsäcke – und schon ergießt sich der Neid über sie, die Weiber stecken die Köpfe zusammen, haben plötzlich Angst um ihre Männer, aus Mißgunst wird die ›Hure‹ geboren, und ihr alle, alle plappert es nach. In Wahrheit ist Soja Gamsatowna ein braves Mädchen.«
    »Welch eine Lobeshymne!« sagte Walja spöttisch. »Ein Liebeslied auf Soja! Von Masuk bekommt sie ein Kind! Von einem verheirateten Mann. Wie nennt man so was? Soll man Beifall klatschen?«
    Jugorow setzte sich neben Walja auf den gefällten Baum und schabte

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