Sibirisches Roulette
wild wuchernden Augenbrauen zu Jugorow hinüber.
»Sieh an«, sagte er dunkel, »unser Held! Unser Spezialist! Auch bei den Weibern mit speziellen Tricks? Wie war's am See? Sie liegt noch im Gras und ruht sich aus, nicht wahr? Gern tut sie das; kaut einen Halm dabei und blickt in den Himmel. Wie warmer Pfirsich riecht ihre Haut, hast du's auch gerochen? Wie gut war sie? Hat kräftige Bewegungen, was?! Hat sie dich ebenfalls gekratzt? Mir hat sie den ganzen Rücken zerschnitten mit ihren langen Nägeln. Zeig her, zieh das Hemd aus … zeig mir, wie sie dich gekratzt hat …«
»Verrückt bist du, Masuk. Ich habe Soja nicht getroffen.« Zwei Schritte ging Jugorow weiter und behielt Masuk scharf im Auge. »Ein schönes Pferd hast du … galoppiert auch durch die schwarze Nacht, als hätte es Radaraugen …«
»Zieh das Hemd aus!« sagte Masuk drohend.
»Ein vortreffliches Pferdchen. Hat bessere Augen als sein Herr.«
In Masuk zerriß die letzte Verbindung zur Vernunft. Zuviel war das: Er nahm ihm Soja weg und spottete auch noch über seine Fehlschüsse. Wie kann ein Mann das ertragen?
Mit einem ächzenden Laut riß Masuk seine Flinte hoch und legte an.
Im selben Augenblick knallte ein Schuß – aber nicht in seinem Lauf, nein, seitlich von Masuk. Mit weiten Augen starrte er in die Gegend, in den Himmel, auf Jugorow … ein Schlag hatte ihn durchzuckt, dort, in der linken Brust; ein Schlag, der ihn wanken ließ … das Gewehr fiel ihm aus der Hand, zentnerschwer war es geworden, und sieh dir nur den Himmel an, plötzlich ist er rot, rot wie beim Untergang der Sonne, aber heller Tag ist's doch noch … Warum brennt die Sonne, warum brennt sie in mir, Sonne, du verbrennst mich … und dann fiel Masuk um wie ein entwurzelter Baum, mit ausgebreiteten Armen fiel er um, nach vorn, auf das wilde Gesicht … und die rote Sonne erlosch …
Im Jeep, im Schatten des Schwarzen Hauses, drückte Walja Borisowna Trofimows Gewehr an die Brust und atmete nicht mehr. Wie zu Stein erstarrt, stand sie im Wagen und rührte sich auch nicht, als Soja flüsterte:
»Masuk hast du erschossen. Du hast Masuk erschossen. O Schwesterchen, Schwesterchen …«
So plötzlich war es geschehen, daß Soja erst begriff, was geschah, als der Schuß neben ihr bereits krachte. Mit einem Ruck hatte Walja ihr das Gewehr zwischen den Knien weggerissen, hatte angelegt und abgedrückt in derselben Sekunde, in der auch Masuk schießen wollte. Ein Teilchen dieser Sekunde war sie schneller gewesen und als Masuk das Gewehr fallen ließ und die Arme zum Himmel hob, bevor er in den Tod stürzte, empfand sie nichts, gar nichts – nur ein unendliches Glück erfüllte sie: Jugorow lebt. Igor Michailowitsch ist gerettet. Er lebt!
Seufzend atmete sie auf, ihre Erstarrung löste sich. Sie sah, wie Jugorow mit langen Sprüngen zu Masuk hinhetzte, wie er vor ihm niederkniete, seinen Kopf hob und erkannte, daß er tot war, dann herüberblickte zum Schwarzen Haus.
»Soja!« brüllte er. »Soja! Komm heraus! Was hast du getan?!« Er riß Masuks Gewehr vom Boden und hielt es an die Hüfte, schußbereit. »Wo ist Walja? Was hast du Walja angetan? Zeig dich, Soja! Masuk hast du erschossen! Bei Gott, ich werde dich töten, wenn du Walja etwas getan hast.«
»Kannst du noch fragen, wie's zwischen mir und Igor steht?« fragte Soja mit leiser, schwimmender Stimme neben Walja. »Er traut mir zu, Masuk zu erschießen, dich zu erschießen … alles traut er mir zu. Was bin ich denn? Darf ich überhaupt leben …«
Sie stieg aus dem Jeep, warf die Hände vors Gesicht und lief weinend ins Haus.
Drüben am Waldrand hatte sich Jugorow von Masuk gelöst und kam nun auf das Haus zu, das Gewehr schußbereit.
»Wo ist Walja?« schrie er wieder. »Walja! Walja!«
Mit steifen Schritten, wie eine aufgezogene Gehpuppe, löste sich Walja von ihrem Jeep und ging Jugorow entgegen. Als sie ins Licht trat, schrie Jugorow auf, warf das Gewehr weg und rannte auf sie zu.
»Sie läßt dich laufen!« rief er. »Aber sie hat Masuk erschossen … Sie hat …«
Jetzt erst sah er das Gewehr in Waljas Hand, erkannte ihre steifen Schritte, ihre unnatürliche Haltung, ihr versteinertes Gesicht.
»Walja …«, stammelte er. »Mein Gott … du … du … hast es nicht getan … Du kannst doch gar nicht schießen … hast nie ein Gewehr in der Hand gehabt … Walja …«
Er stürzte zu ihr, riß ihr das Gewehr aus der Hand, schleuderte es weg, zog sie fest an sich, küßte ihr starres Gesicht und die
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