Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
hervor.
    »Hier!« sagte Soja und zeigte auf eine Stelle, die aussah wie überall im Sumpf. »Hier kann ihn keiner finden. Versinken wird er wie ein Stein.«
    Gemeinsam zerrten sie Masuk wieder aus dem Sattel, Jugorow lud ihn auf seine Schulter und ging vier Schritte weiter, bis Soja »Halt!« rief.
    Breitbeinig blieb Jugorow stehen. Masuk war ein schwerer Mensch; eine Last, die ein einzelner kaum zu tragen vermochte.
    »Kipp ihn hinein!« sagte Soja mit belegter Stimme. »Über die Schulter einfach hinein … Aber steh fest … Fällst du hinterher, kann keiner dich retten …«
    Jugorow nickte. Die Beine stemmte er in den weichen Boden, holte tief Luft, beugte sich etwas nach vorn und ließ Masuk an seinem Körper entlang nach unten rutschen.
    Dann gab er ihm einen Stoß, und Masuk stürzte wie eine Riesenpuppe, mit den Armen schlenkernd, in das Wasser. Es gurgelte schaurig, Blasen stiegen auf, zerplatzten mit modrigem Geruch … und dann war es, als zöge jemand Masuk ganz langsam in die Tiefe, Zentimeter um Zentimeter, die Beine, den Leib, die Brust, die breiten Schultern, das bleiche Gesicht, die Stirn, die struppigen schwarzen, teils ergrauten Haare … Und dann war wieder nur ein Gurgeln da, ein kleiner Strudel, die fauligen Gase – und Stille.
    Gebannt, entsetzt, mit starrem Blick hatte Jugorow zugesehen, wie Masuk in den Sumpf gezogen wurde. Erst als ihm Soja die Hand auf die Schulter legte, erwachte er aus seiner Erstarrung.
    »Zurück müssen wir«, sagte sie. »Masuks Pferd lasse ich frei, wenn ihr in Nowo Gorodjina seid. Keiner wird euch mit seinem Verschwinden in Verbindung bringen.«
    Sie tasteten sich zum Schwarzen Haus zurück, blieben vor dem Jeep stehen und wußten keine Worte zum Abschied.
    »Komm zu Besuch«, sagte Walja. »Jederzeit … Um das Kind muß ich mich doch kümmern.«
    »Wir kommen auch zu dir«, sagte Jugorow. »Nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
    »Was wollt ihr hier? Nein, kommt nicht wieder! Wir werden uns irgendwo sehen … Irgendwo …« Sie kam zu Walja, küßte sie und sagte: »Wie ähnlich sind wir uns, Schwesterchen, wie ähnlich – und doch liegt eine ganze Welt dazwischen. Paß auf Igor auf … meinen Igor … im Traum …«
    Mit einem Ruck warf sie sich herum, rannte ins Haus und schlug die schwere Tür zu.
    »Komm!« sagte Walja leise. »Komm, Igor.« Sie stiegen in den Jeep. Jugorow fuhr ihn jetzt, und verließen die Lichtung und das Schwarze Haus. Sie wußten, daß Soja ihnen nachblickte, im Fenster, und daß sie weinte.
    Am Abend trabte Masuks Pferd allein durch Lebedewka und ging in seinen Stall.
    Die Leute, die es sahen, rissen die Mäuler auf und wunderten sich. Nur Goldanski rannte zu Korolew, riß die Tür auf und schrie über den Tisch mit dem Abendessen hinweg:
    »Masuk ist etwas zugestoßen. Allein kommt sein Pferd zurück!«
    In dieser Nacht blieb Walja Borisowna wieder bei Jugorow.
    Aber anders als in den vergangenen Nächten verglühten die Stunden nicht in Leidenschaft. Wie ein Kind kuschelte sich Walja förmlich in Igor hinein, Schutz suchend, Wärme aufnehmend, Trost empfangend.
    Der erste Schock hatte sich gelegt, aber dafür verewigten sich die Bilder in ihrer Erinnerung: Wie Masuk anlegt auf Igor Michailowitsch, wie sie Soja das Gewehr aus den zusammengepreßten Knien reißt … der Schuß, Masuks Hochwerfen der Arme, sein Niederstürzen, Jugorows heller Schrei nach Soja, der Tote quer im Sattel schwankend, der Weg in den Sumpf, das schmatzende Versinken in die breiige Tiefe, Masuks letzter Anblick, die struppigen schwarzen Haare, über die sich mit Gurgeln und gasgefüllten Wasserblasen der Sumpf wieder schließt … Wer könnte das jemals vergessen.
    Und so lag Walja an Igor gepreßt, hilflos diesen Bildern ausgeliefert im Wissen, daß von diesem Tag an ein anderes Leben begonnen hat. Ein Leben zu dritt … sie, Igor und Masuk … Denn wo immer sie auch sein mochten, wie lange ihre Lebensjahre noch dauerten: Masuk war ständig bei ihnen, neben ihnen, vor ihnen, hinter ihnen, in ihnen.
    Kann man damit leben?
    »Für dich habe ich's getan«, sagte sie einmal in dieser Nacht. »Tot wärst du jetzt. Notwehr war es … sag es, Igor, sag es … Notwehr …« Und er küßte sie in den Nacken, auf die Schultern, streichelte ihren zitternden Körper hinauf und hinab und zog ihn so dicht an sich, wie es möglich war.
    »Natürlich war es Notwehr, Waljaschka«, sagte er beruhigend. »Das Leben hast du mir gerettet. Ein Augenzucken schneller warst

Weitere Kostenlose Bücher