Sibirisches Roulette
Feldern, um vor Einbruch des großen Regens und des alles zudeckenden Schnees das letzte sonnenharte Gras zu schneiden und es noch trocken in die Scheunen zu bringen. Schräg gegenüber von Korolew schob Großvater Beljakow den Rollstuhl mit seiner gichtkranken Frau in den Vorgarten und setzte sich dann wie immer auf die Bank neben der Haustür. Von hier konnte er alles überblicken: die Straße, eine Anzahl Häuser und Gärten. Vor allem aber sah er jeden, der die Straße hinunterging und den er ansprechen konnte. Seine Orden blitzten auf der dunklen Jacke, zwei lange Reihen Medaillen an bunten Bändchen. Ein imponierender Anblick. Und welch ein friedliches Bild … in Wahrheit ein falscher, verratener Frieden. Der Tod war gegenwärtig und wartete. Jeder mißtraute jedem, oder man wurde zu Freunden und war doch Jäger und Gejagter. Sibirisches Roulette.
»Ja, mich suchen sie.« Jugorow drehte sich vom Fenster weg und war sehr ernst geworden. »Grigori Valentinowitsch, wenn ich einmal nicht wiederkomme, wenn ihr nichts mehr von mir hört … ich bin nicht stillschweigend weitergezogen, ohne Abschied … dann haben sie mich entdeckt, und ich bin der Schwächere gewesen.«
»Das wird nie sein. Du kennst deine Gegner und kannst nicht überrascht werden.«
»Zufälle sind es, die in meiner Lage tödlich sein können. Korolew, versprich mir, den Kampf gegen den Kanal weiterzuführen, mit allen Mitteln, mit allen Opfern. Es geht nicht allein um eure Heimat.«
»Ich weiß. Drei Meter wird Hamburg unter Wasser stehen«, sagte Korolew trocken.
»Ein Beispiel war das nur. Korolew, wenn sie mich getötet haben: Der Kampf darf damit nicht zu Ende sein.«
»Es ist versprochen.« Korolew reichte Jugorow die Hand. »Aber sie bekommen dich nicht, Igor Michailowitsch. Zu raffiniert bist du und zu klug. Was sollen wir mit Krasnikow und Meteljew machen?«
»Dankbar tun, in die Arme schließen und wachsam sein. Unterrichte jeden davon, wer sie sind, vor allem die Geiseln, die ihnen sonst blind vertrauen würden.«
»Wann kommen Krasnikow und Meteljew nach Lebedewka?«
»Um die Mittagszeit.«
»Das ist schon bald. Ich werde gleich alle informieren. Und zu Trofimow gehst du?«
»Sofort. Von hier aus.«
»Paß auf! Gefährlicher ist er als jeder andere.«
Jugorow nickte. »Auch das wäre noch zu klären, Korolew: Warum dieser Haß gegen Trofimow?«
»Wer weiß es? Er wird vererbt. Aufgewachsen sind wir mit der Drohung: Freßt ihr was aus, kommt ihr ins Schwarze Haus. Von Generation zu Generation, immer das gleiche. Und als wir älter wurden, hieß es dann: Die Trofimows gehören nicht zu uns … Und dabei blieb es. Ich glaube, schon zweihundert Jahre lang.«
»Bis heute.«
»Du siehst es.«
»Und niemand hat mal die Frage gestellt: Warum ist es so?«
»Wozu? Wir sind damit aufgewachsen.«
»Nie ist euch der Gedanke gekommen, ihr könntet ungerecht sein gegenüber Trofimow?«
»Nein. Du kennst ihn doch. Kann so einer ein Freund sein?«
»Man hat es nie versucht. Keiner ist zu Trofimow gegangen, hat sich an seinen Tisch gesetzt und zu ihm gesagt: Gamsat Wladimowitsch, laß uns mal miteinander reden. Vernünftig reden! Wir leben doch in einer Zeit, wo man alles besprechen kann. Soll das so weitergehen? Unsere Eltern, Großeltern und noch weiter zurück haben ihren Kindern eingebleut: Den Trofimows gebt auf keinen Fall die Hand. Warum, das haben sie uns nicht verraten. Laß uns den alten Haß, dessen Grund niemand kennt, begraben …«
»Und was wird Trofimow antworten? Na?« rief Korolew aufgebracht. »Ist gut, wird er sagen, begrabt die Vergangenheit, laßt uns Freunde sein und leckt mich am Arsch! … Aber dazu sind wir nicht bereit.«
»Ich glaube nicht, daß Trofimow so darauf reagiert.«
»Geh hin und frag ihn selbst. Erstaunlich überhaupt, daß er dich eine Nacht hat bei sich schlafen lassen.«
»In Sojas Bett … sie hatte es durchgesetzt.«
»Und Trofimow hat nachgegeben? Kampflos?«
»Nein. Besoffen hat er sich bis zur Verblödung.« Jugorow ging zur Tür. »Wenn Krasnikow und Meteljew nachher kommen, bist du völlig überrascht.«
»Einen Begeisterten werde ich spielen, wenn sie mir den Plan unterbreiten. So einen Begeisterten wird's noch nie gegeben haben. Ganz sicher sollen sie sich fühlen.«
»Nicht übertreiben, Grigori Valentinowitsch! Die Herren Geologen sind sehr klug, verschlagen klug … ein ganzes Bündel Raffinesse.«
Jugorow umarmte Korolew, und dieser hatte das schmerzliche Empfinden,
Weitere Kostenlose Bücher