Sibirisches Roulette
Grauen.
Pünktlich zur Mitternacht, genau um vierundzwanzig Uhr, flog mit einer gewaltigen Detonation das Verpflegungsmagazin I in die Luft. Drei Minuten später folgte in einer Feuersäule das Magazin II. Und noch einmal drei Minuten später gab es keine Küche mehr und kein Flüssiggaslager … mit gewaltigen Explosionen und einer Feuerglut, die alles Löschen unmöglich machte, zerbarsten die stählernen Flaschen wie Granaten.
Beim ersten Explosionsknall schoß Jugorow aus seinem Haus, nur eine Schlafanzughose an, und prallte auf Krasnikow und Meteljew, die in voller Bekleidung auf ihren Betten gelegen hatten.
»Ich hab's ja gesagt!« brüllte Jugorow und hob die Arme in den plötzlich mit Glut getränkten Nachthimmel. Und als die zweite Explosion erfolgte, warf er sich an der Hauswand in Deckung, und bei der dritten, der gewaltigsten Detonation, kroch er in sich zusammen wie ein getretener Wurm. Auch Krasnikow und Meteljew hatten Deckung gesucht, sprangen jetzt aber auf und rissen Jugorow von der Erde.
»Zu den Wagen!« riefen sie.
Die Alarmsirenen heulten, aus allen Baracken stürzten die Männer und liefen zu den Feuern, ein wildes Geschrei war um sie herum, ein hundertfaches Rennen und Fluchen, und Meteljew schrie mit verzerrtem Gesicht: »Scheiß nicht in die Hose, Jugorow … nutz die Verwirrung aus …«
»Meine Hunde!« rief Jugorow und machte einen Luftsprung. »In der Nähe sind sie. Meine Hunde! Was ist mit meinen Hunden passiert?!«
Er riß sich von Meteljew los und rannte mit nacktem Oberkörper, so wie er war, den anderen nach zu dem hochlodernden Feuer und den explodierenden Gasflaschen.
Von der Seite kamen Schemjakin und Walja gerannt. Niktin stand draußen auf der Terrasse des Schemjakin-Hauses und klagte und jammerte und wagte doch keinen Schritt nach vorn. Im weiten Umkreis waren alle Fenster zerborsten, und auch Niktin hatte mit einem Satz sein Bett verlassen, als das Glas über ihn regnete. Maja Petrowna versteckte sich, hysterisch schreiend, im großen Wohnzimmer hinter dem Sofa, wohin auch Olga Walerinowna folgte, stumm vor Entsetzen.
»Zurück, Igor!« schrie Walja Jugorow zu, als sie ihn sah. »Zurück … wo willst du denn hin?!«
»Meine Hunde!« rief Jugorow zurück. »Meine armen Hunde …«
Er rannte weiter, in heller Verzweiflung, wie man sah, aber er wußte genau, daß den Hunden nichts geschehen war. Die Dynamitstäbe hatte er so gelegt, daß nur die Magazine fast senkrecht in den Nachthimmel flogen, und die Gasflaschen waren weit genug weg gelagert und konnten auch mit ihren Splittern nicht die Hunde treffen. Nur einen Schreck hatten sie bekommen, das ließ sich nicht vermeiden, und jetzt tobten sie in ihrem Zwinger wie irr. Selbst Jugorow wagte nicht, zu ihnen zu gehen; er stellte sich an das Gitter und sprach beruhigend auf sie ein, aber es hatte keinen Sinn: Die Feuersäule, die nachträglichen Explosionen, das Prasseln der verbrennenden Baracken, der Funkenflug, das Zerbersten der Wein- und Schnapsflaschen, das raschelnde Verglühen von Nudelsäcken, Reis und Mais, das helle Zischen des verbrennenden Fettes von Butter, Margarine und Schmalz – all das verwandelte die Hunde wirklich in blindwütige Bestien.
Plötzlich stand Walja neben ihm, Tränen in den Augen, eine Decke um den Körper gewickelt, obgleich die Glut fast unerträglich war.
»Alles vernichtet …«, weinte sie. »Alles. Der ganze Wintervorrat. Was soll nun werden? Oh, diese Teufel von Lebedewka …«
Jugorow schlang die Arme um sie, drückte sie an sich und sah über ihren Kopf hinweg, wie Krasnikow und Meteljew mit einem kleinen Lastwagen aus dem Lager preschten. Sie tun es, dachte er und atmete schwer. Sie tun es trotz dieser Katastrophe. Sie befreien jetzt die Geiseln … das Militär wird schon unterwegs sein, um Hilfe zu leisten, bis auf ein paar Posten ist Nasarows Lager leer. Eiskalt nutzen sie die Verwirrung aus und holen die Geiseln aus dem Zelt. Vielleicht wird es Tote geben, die Posten bei den Geiseln – was machte das noch aus? Kam alles in den großen Topf des neuen Attentats, der alles aufnahm, was jetzt noch geschehen würde.
»Gehen wir, Walja«, sagte er und küßte ihre zitternden Lippen. »Hier können wir nichts mehr tun.«
»Alles, alles verbrennt, Igor. Alle Magazine, die Küche … Wir haben nichts mehr zu essen …«
»Sie werden sofort aus Tobolsk neue Waren schicken.«
»Über dreihundert Mann müssen ernährt werden! Und das ohne Küche!«
»Dann improvisieren wir,
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