Sibirisches Roulette
mit uns, aber wir mußten ja den Wagen sofort wieder zurückbringen.«
Sie gingen gemeinsam zu ihren Häusern, und da jeder der Gastgeber sein wollte, knobelte man ihn aus, zog Streichhölzer, und Jugorow ritt der Teufel, als er sagte: »Wie beim russischen Roulette, nur überleben wir es alle … Genossen, ich hab' den längsten Stift gezogen: Ihr seid meine Gäste.«
Eine fröhliche Nacht wurde es noch, man prostete sich zu, man trank Brüderschaft und schmetterte die Gläser an die Wand, man sang gemeinsam die wehmütigen Lieder der Steppe und fiel sich in die Arme. O Brüderchen, ist das beschissene Leben schön …
Wer war hier Jäger und Gejagter? Wer würde überleben? Sibirisches Roulette …
Im Hause Schemjakin war man nach dem ›Sieg‹ über das Feuer der Ansicht, daß es nützlich für Körper und Geist, Seele und Nerven sei, sich noch einmal hinzulegen, ehe am Morgen dann die großen Diskussionen begannen. Schemjakin hatte in Tobolsk und Tjumen alle Stellen angerufen, die zuständig waren, und damit seine Pflicht erfüllt. Was konnte man mehr tun? Die vernichteten Magazine und die Küche durfte man nicht aufräumen – alles mußte so bleiben, wie es war, um den Kommissionen ein wahres und deutliches Bild der Vernichtung vorzuführen.
Schemjakin sah große Schwierigkeiten auf Nowo Gorodjina zukommen. Wen immer er auch angerufen hatte – sobald er sagte, der gesamte Wintervorrat an Verpflegung sei vernichtet, wirklich restlos vernichtet, bekam er zunächst ein tiefes Seufzen zu hören, so, als entweiche Luft aus einer aufblasbaren Matratze. Dann stöhnte man sogar noch, bevor der längst erwartete Ausbruch kam: »Eine Katastrophe, Genosse Schemjakin! Die gesamte Verpflegung, der Wintervorrat für dreihundert Genossen? Oh, ist das eine Katastrophe!«
Wären nur die Maschinen in die Luft geflogen, man hätte das mit einem Knirschen hingenommen, aber die Verpflegung und die Küche? – Nur stöhnen vermochte man da noch und gegen die Wand starren.
Niktin, vom Wein schon etwas schwach in den Beinen, war der erste, der sich verabschiedete, Olga Walerinowna die Hand küßte – was bewies, wie stark sein Hirn schon in Alkohol getaucht war –, Walja umarmte, seiner Frau Maja Petrowna zunickte, was soviel hieß wie: Komm bald nach! … und dann hinaustappte in sein Schlafzimmer.
Er schaltete die trübe Deckenbeleuchtung ein, warf seinen Rock über eine Stuhllehne, schleuderte die Schuhe von den Füßen, reckte sich gähnend und furzte kräftig. So ein entspannendes Recken, vor allem wenn der Leib voll Alkohol war, konnte immer gefährlich sein: Die Därme fühlten sich befreit. Niktin erschrak, wenn auch vor seinem eigenen Furz, sah sich um und war beruhigt darüber, daß Maja Petrowna ihm noch nicht sofort nachgekommen war.
Verwundert sah er auf sein Bett, wischte sich über die Augen, aber es blieb, was er sah: Ein Blatt Papier lag auf seiner Decke. Niktin hob es hoch. Beschrieben war's mit sauber gemalten, neutralen Druckbuchstaben. Er setzte sich auf die Bettkante und las:
»Ein guter Rat, Jossif Wladimirowitsch, es ist ein Freundesdienst: Frag einmal den Genossen Major Nasarow, ob er auch den kleinen, runden Leberfleck an der Innenseite des linken Oberschenkels, ganz oben, von Maja Petrowna gesehen hat …«
Mehr stand da nicht, aber es genügte völlig. Niktins Hand begann zu zittern. Eine wilde Lust kam in ihm hoch, dieses Papier zu fressen. Noch einmal las er die wenigen Zeilen, wurde von Buchstabe zu Buchstabe nüchterner und spuckte dann auf diese Nachricht.
Nasarow? Maja Petrowna? Aber wieso denn und wann? Und wo? Am Abend war er von seinen Vorträgen in den umliegenden Ortschaften immer gleich zurück nach Nowo Gorodjina gekommen, zurück in die Arme seines sehnsüchtig wartenden Täubchens. Nichts hatte er an ihr bemerkt, keine Veränderung, keine Abweisung, keine Müdigkeit. Am Tage mußte sie es also getrieben haben, irgendwo im Wald, wie eine Hündin mit einem Hund. Hatten im Farn gelegen, auf weichem Moos, im hohen Gras. Und wenn Maja die Leidenschaft packte, dann begann sie zu piepsen wie ein Schwarm junger Vögelchen …
Nasarow!
Im Augenblick wußte Niktin nicht, was er tun sollte. Er hörte Maja Petrowna kommen, zerknüllte das Papier und steckte es in die Hosentasche. Mit umwölkter Stirn und einem Blick, in dem Mord stand, sah er sein Weibchen an, das in seinem kurzen, durchsichtigen französischen Hemdchen durch das Zimmer tänzelte und sich, selig vom Wein, hinterrücks
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