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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stabil, die Kranzarterien waren nicht verengt, nirgendwo eine nekrotische Veränderung …«
    »Dr. Kolosichin!« warnte Pychtin.
    »Auch eine Verschwielung eines vielleicht nicht wahrgenommenen früheren stillen Herzinfarktes war nicht festzustellen. Die Ventrikel waren frei.«
    »Schmeißt ihn raus!« sagte General Pychtin böse. »Müssen wir mit einem Lexikon herumlaufen?«
    »Um es abzukürzen, Genossen!« rief Dr. Kolosichin erregt. »Nasarow ist nicht an einem Herzanfall gestorben – laienhaft ausgedrückt.«
    »Woran sonst?«
    »Das kann man nur erraten, Genosse General.«
    »Wie einfach ist doch die Medizin!« rief Pychtin und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Was man nicht weiß, muß man erraten. Das ist ja noch schlimmer als bei den Wettervorhersagen … da weiß man wenigstens hinterher, warum alles anders gekommen ist. Dr. Kolosichin, wie ist Nasarow zu den äußeren Verletzungen gekommen?«
    »Es müssen Hiebe mit einem elastischen Gegenstand gewesen sein. Weidenrute, Seil, Peitsche oder dergleichen. Auf gar keinen Fall handelt es sich um einen Unfall oder um Auswirkungen von Unachtsamkeit. Major Nasarow ist ganz einwandfrei mißhandelt worden.«
    »Und an diesem Schock gestorben?«
    »Sehr zweifelhaft. Den Sanitäter haben wir verhört. Er sagte aus, daß Nasarow am Morgen mit seinem Jeep von einer Erkundungsfahrt zurückkam, ihn rufen ließ und kaum noch stehen konnte. Der Sanitäter fragte: ›Genosse Major, was ist denn passiert?‹ Und Nasarow hat ihn angebrüllt: ›Halt's Maul, schwöre, daß du keinem sagst, was du gesehen hast, und verbinde mich!‹ – Wir haben die Verletzungen von allen Seiten fotografiert. Erstaunlich ist, daß die gröbsten Wunden im Bereich des Unterleibes und vor allem im Genitalbereich liegen.«
    »Ganz klar: Nasarow ist überfallen worden.«
    »Und war zur Stunde des Überfalls von den Hüften abwärts entblößt«, sagte Dr. Kolosichin sehr diskret.
    »Sagen wir es deutlich, Genosse.« General Pychtin stieß die Luft durch die Zähne aus. »Nasarow wurde beim Vögeln überrascht. Geben wir zu, das ist immer eine peinliche Sache. Dabei möchte keiner von uns überrascht werden. Grinsen Sie nicht, Genossen – das ist eine ernste Situation. Was wir jetzt noch brauchen, ist die Dame, die unter Nasarow gelegen hat. Was weiß man darüber?«
    »Nichts. Noch nichts, Genosse General.« Der untersuchende Gerichtsoffizier Safronow schaltete sich ein. »Die Offiziere des Bataillons und auch die Mannschaften haben nichts bemerkt. Im Lager ist nie eine Frau gesehen worden, und auf seinen Privatfahrten war Nasarow immer allein. Einmal, das erklärte der Fahrer des Majors, der Gefreite Korogadski, traf Nasarow während einer dienstlichen Fahrt zufällig auf die Frau des Genossen Niktin, dem Propagandaleiter des Kanalprojektes, und unterhielt sich mit ihr. Eine harmlose Begegnung.«
    »Nichts ist hier harmlos.« Pychtin blickte hinüber zu dem mißmutigen Bacharew vom KGB. »Das wäre etwas für Sie, Pjotr Dimitrowitsch.«
    »Eine Frau kann nicht solche Wunden schlagen, dazu gehört Kraft«, sagte Bacharew.
    »Keiner denkt an den Ehemann …«
    »Niktin? O Gott!« Bacharew verzog sein Gesicht, als habe er Saures getrunken. »Der läuft vor einem Maulwurf weg, wenn er seinen Hügel hebt. Niktin würde höchstens zusehen und dabei sein Schicksal beklagen. Aber seien wir gründlich. Ich werde – wenn auch nutzlos – Niktin befragen.«
    Viel wurde geredet an diesem Tag, aber wenig kam dabei heraus; man hätte Vergleiche ziehen können zu Politikern. Der Leiter des Kanalbauabschnitts Tobolsk-Tjumen, der fette Koskajew, stand asthmatisch atmend vor den Trümmern und dem jetzt entsetzlich stinkenden Matsch der zerwalzten Lebensmittel – zwischen einigen Balken quoll noch immer dünner, beißender Rauch hervor – und wußte nichts anderes zu sagen als:
    »Welch ein Schaden, Genosse Schemjakin, welch ein Schaden! Wie konnte das passieren?«
    Eine dümmere Frage war nicht möglich. Schemjakin verzichtete auf eine Antwort. Zu unhöflich wäre sie auch gewesen. Statt dessen fragte er:
    »Wann kommen neue Lebensmittel?«
    »So schnell wie möglich.«
    »Was heißt möglich?«
    »Es wird alles getan, was uns zur Verfügung steht.«
    »Was steht uns zur Verfügung?«
    »Das bestimmt die Oberbauleitung Westsibirien in Swerdlowsk.«
    »Und die fragt erst in Moskau an.«
    »Der Instanzenweg. Wer will ihn aufhalten?« Koskajew hob bedauernd beide Hände. »Schließlich ist der Verpflegungsplan

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