Sibirisches Roulette
Meteljew grinste erfreut. »Ich habe genau in eine Strieme getroffen. Ein Zufall. Vom Glück ernährt sich des Menschen Seele.«
Auf dem Vorplatz der Kommandantur trafen sie Jugorow, Walja und den völlig verzweifelten Leutnant Mamjelew. Zwei Kompanien waren ausgerückt und durchsuchten die Wälder nach Spuren der Geiseln. Ein fahles Licht kündete den Morgen an. Nässe tropfte von allen Zweigen. Falls es heute einen sonnigen Tag geben sollte, dann stand bald der Nebel über den Sümpfen. Ein Geruch von Erde und Fäulnis durchzog die Luft.
»Bleiben Sie hier, Genossin Ärztin, bis die Kommissionen aus Tobolsk kommen?« fragte Mamjelew kläglich.
»Ich muß zu meinen Hunden zurück!« sagte Jugorow abwehrend.
»Man kann mich jederzeit im Hospital erreichen.« Walja wollte nach ihrem Arztkoffer greifen, aber Jugorow war schneller und nahm ihn an sich. »Sie sollten den Sanitäter verhören, Leutnant Mamjelew. Wie ist Nasarow an seine Wunden gekommen? Wer hat ihn so fürchterlich ausgepeitscht? Der Sanitäter weiß mehr.«
»Mit dem Kopf an die Wand werde ich ihn werfen!« schrie Mamjelew. »Das macht ihn munter.«
»Oder völlig stumm. Versuchen Sie es mit Güte.« Sie sah sich um und blickte Jugorow nach, der ihren Arztkoffer zu dem deutschen Kübelwagen trug. »Es werden doch Ärzte aus Tobolsk mitkommen?« fragte sie. »Vom Militärlazarett …«
»Sicherlich. Auch General Pychtin kommt selbst mit dem Hubschrauber. Und der Genosse Bacharew vom KGB. Ich brauche Instruktionen, ich darf doch nicht selbständig handeln.«
Krasnikow und Meteljew sahen sich schnell an, ein kurzer Blickwechsel nur. Der KGB kommt. Die Konkurrenz. Einen kleinen Hinweis auf Niktin mußte man geben – so würde eins das andere nach sich ziehen und so stand dem eigenen Ehrgeiz nichts mehr im Weg. Wenn jemand den ›Spezialisten‹ zur Strecke brachte, dann war's die GRU. Eine Ehrensache, so muß man das sehen.
Um sechs Uhr morgens, in heller Dämmerung und über zerflatternden Nebelschwaden, landeten die Hubschrauber im Militärlager. Sieben Stück.
Leutnant Mamjelew wurde es schwer im Magen. Es ist nicht jedermanns Freude, die hohen Herren um sich zu sehen.
Wer hätte es anders erwartet: Um die Mittagszeit waren sich die Kommissionen in Nowo Gorodjina und dem Militärlager darüber einig, daß die Aktionen der vergangenen Nacht die schlimmsten waren, die das Kanalprojekt bisher getroffen hatten. Das war aber auch alles. Über den Tätern lag, wie immer, tiefes Dunkel. Die Befreiung der Geiseln und die Tötung der beiden Posten konnte man noch den Leuten von Lebedewka zurechnen, aber Nasarows Tod und vor allem das brennende Chaos im Baulager wollte nicht einmal General Pychtin den Dorfbewohnern zuschieben.
»Das ist eine Nummer zu groß für sie«, sagte er bei der gemeinsamen Besprechung über die bisherigen Untersuchungen. »Es muß eine Gruppe geben, die selbständig operiert. Eine hervorragend geführte Gruppe! Das einzige, was man in Lebedewka wissen könnte, ist das Versteck dieser Saboteure. Aber hat es einen Sinn, jeden einzelnen zu verhören und immer nur ein Achselzucken zu sehen? Eine neue Geiselnahme scheidet aus … Befehl aus Moskau. Was also haben wir in der Hand? Nicht mehr, als was wir auch beim Pinkeln in die Hand nehmen. Genossen, unterscheiden wir genau und betrachten wir es getrennt: Das Attentat auf das Baulager ist der eine Teil des Geschehens, die Geiseln und Nasarow sind der zweite Teil. Bleiben wir zunächst bei dem Genossen Major und hören wir uns den Bericht von Dr. Kolosichin an.«
Dr. Kolosichin, Kapitänarzt im Militärlazarett von Tobolsk, räusperte sich, blätterte in seinen Notizen und rückte an seiner randlosen Brille.
»Wir – das heißt Dr. Walja Borisowna Schemjakin und ich – haben den Leichnam von Major Nasarow genau untersucht und obduziert. Im Antrum des Magens …«
»Genosse Kolosichin!« unterbrach ihn General Pychtin. »Wenn Sie uns mit Ihrem lateinischen Gefasel kommen, werfe ich Sie raus! Reden Sie klar verständlich. Sagen Sie statt Anus deutlich Arsch.«
»Das wäre falsch, Genosse General«, sagte Dr. Kolosichin beleidigt. »Anus ist ausschließlich das Abschlußorgan des Darmrohres …«
»Fahren Sie fort, Doktor«, Pychtin winkte ab. »Keine Diskussion über das Darmrohr.«
»Also: Wir haben festgestellt, daß Major Nasarow bis zu seinem Tod kaum Nahrung zu sich genommen hat, dafür aber größere Mengen Alkohol. Wahrscheinlich Wodka. Das Herz erwies sich als sehr
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