Sibirisches Roulette
gäbe es die beiden kantigen Männer im Hintergrund nicht. »Mein lieber Niktin: Was wollten Sie um vier Uhr morgens bei Nasarow?«
»Eine Privatsache. Pjotr Dimitrowitsch.« Niktin gab sich sehr verschlossen und war auf der Hut. Krasnikows Andeutungen fielen ihm ein, und plötzlich erkannte er, daß man ihn hierher geholt hatte, um ihn zu verhören. Und ausgerechnet Bacharew, den man so gut kannte, der oft Gast bei ihnen gewesen war und fast jedesmal besoffen abtransportiert werden mußte. Einmal hatte er sogar, in Niktins Gegenwart, Maja Petrowna an die Brust gegriffen und das Lied von den Äpfelchen gesungen. Damals hatte Niktin meckernd gelacht – heute, nach Majas Untreue mit Nasarow, sah das alles ganz anders aus. Hatte etwa auch Bacharew …? Unter Niktins Kopfhaut begann es zu klopfen.
»Uns interessieren Privatsachen sehr«, sagte Bacharew noch immer höflich.
»Privat ist eine Sache zwischen mir und Nasarow.«
»Nicht mehr, wenn Nasarow hinterher tot ist.«
»Was heißt hinterher, bitteschön?«
»Nach Ihrem Besuch, Niktin.«
»Er war schon tot, als ich ins Zimmer kam!« rief Niktin empört.
»Wer kann das beweisen?«
»Ich!«
»Und warum soll man Ihnen glauben?«
Niktin starrte Bacharew an, schluckte mehrmals und preßte die Hände aneinander. »Pjotr Dimitrowitsch, wir kennen uns seit vier Jahren …«
»Kein Grund, einem unbedingt zu glauben.«
»Sie haben Maja Petrowna an der Brust gepackt und das Lied von den Äpfelchen gesungen …«
»Ich kann mich nicht erinnern.« Bacharew wurde jetzt steif und dienstlich. Das heimliche Verhältnis mit Maja war längst beendet, schon seit fast zwei Jahren – damals hatte Maja den Distriktkommissar kennengelernt, und Bacharew spielte ernsthaft mit dem Gedanken, Maja auf irgendeine Weise zu töten. Bevor er sich zwischen Pistole, Dolch, Erwürgen, Vergiften oder Ertränken entschieden hatte, war sein Zorn verraucht gewesen und Maja durfte weiterleben. Wer wird schon gern an eine solche Zeit erinnert? Niktin war immer ein blindes Rindvieh gewesen … warum wärmte er jetzt diese längst vergessene Zeit auf? »Sie wollten Nasarow etwas fragen, war's so?«
»Ich gebe keine Antwort! Bacharew, was fällt Ihnen ein?! Stehe ich hier unter Anklage, stehe ich unter Verdacht? Dann sagen Sie es klar! Auch wenn Sie vom KGB sind – ich habe meine Bürgerrechte. Ich bin Mitglied der Partei. Ich stehe vor der Wahl als Abgeordneter für Tobolsk. Das alles wissen Sie.«
»Wir wissen aber auch, nach Ihren eigenen Aussagen, daß Sie drei Minuten allein mit Major Nasarow waren.«
»Ich habe nicht sofort begriffen, daß er tot war. Sogar gesprochen habe ich mit ihm …«
»Und was hat er geantwortet?«
Niktin fiel auf diese Suggestivfrage nicht herein, so schnell sie auch abgeschossen wurde. Ein reines Gewissen läßt sich nicht übertölpeln.
»Wieso? Er war doch tot!« rief Niktin. »Seit wann geben Tote Antwort? Versetzen Sie sich in meine Lage: Ich komme ins Zimmer, begrüße Nasarow, weil er friedlich auf dem Rücken liegt, gehe redend auf ihn zu, und da erst sehe ich, daß er leblos an die Decke starrt. Dieser Schreck, Genosse! Wie gelähmt war ich zunächst. – Was hätten Sie da gemacht? Hinausgelaufen wären Sie und hätten Alarm geschlagen. Genau das habe ich auch getan.«
»Nach drei Minuten …«
»Im ganzen. Hineingehen, sprechen, Tod erkennen, hinauslaufen – wie kurz sind da drei Minuten.« Niktin hob beteuernd beide Arme. »Ich weiß nicht, was da so seltsam sein soll.«
»Ihr ganzes Benehmen, Niktin. Die rasende Fahrt zu Nasarow – Mamjelew stehen noch heute die Haare zu Berge, wenn er daran denkt –, hineinstürzen in die Kommandantur … Warum waren Sie so aufgeregt? So außer Kontrolle. Bedenken Sie, das würde ein Milderungsgrund sein. Eine Affekthandlung …«
»Ja, sind Sie denn völlig verrückt, Bacharew?« schrie Niktin auf. »Milderungsgrund? Wofür Milderung? Lassen Sie mich gehen, zu dämlich wird's mir hier.«
»Festgestellt haben die Ärzte«, log Bacharew, »daß Nasarow mit einem Kissen erstickt wurde. Das geht innerhalb von drei Minuten, wenn man kräftig genug drückt. Drei Minuten, Jossif Wladimirowitsch …«
»Ich habe Nasarow nicht getötet!« schrie Niktin. »Warum denn? Warum?«
»Genau das sollen Sie uns sagen! Nasarow traf sich mit einer heimlichen Geliebten im Wald. Dort überraschte ihn jemand – nicht Sie, Niktin, Sie waren in Nalodowsk und hielten einen Vortrag, das wissen wir – und dieser Unbekannte hat
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