Sibirisches Roulette
doch so in die Ecke gestellt zu werden. Und Pychtin verstand jetzt aus eigenem Erleben, warum man die GRU so haßte und immer hassen würde.
Maja Petrowna erwartete Bacharew bereits. Als sie gesehen hatte, wie Niktin mit ihm fortging, war ihr bewußt geworden, daß es für sie kein Entrinnen mehr gab.
Nur einen Augenblick war ihr der Gedanke gekommen, den Kübelwagen zu nehmen und zu flüchten. Aber wohin in dieser Wildnis aus Sümpfen, Wäldern, Seen, Bächen und dem großen Fluß Tobol? Versteckt leben, sich von Beeren und Wurzeln ernähren, ohne Feuer, ohne ein Dach über dem Kopf, sich verkriechen in Höhlen oder Erdsenken – wer hält das aus? Wer hat so etwas gelernt? Dann dachte sie daran, in Lebedewka unterzukriechen. Ein Flüchtling, eine Verfolgte mußte doch Verständnis finden bei den Bauern. Aber wer würde sie tatsächlich aufnehmen? Sie, die Frau von Niktin, das Luxusweibchen, bei deren Anblick schon jeder ausspucken wollte? Und Jugorow? Hatte er nicht Nasarow fast zu Tode gepeitscht? Vielleicht wußte er ein Versteck, in dem man die nächsten Tage überleben könnte. Irgend jemand mußte ihr doch helfen.
Verzweifelt suchte sie nach Jugorow und traf ihn bei seinen Hunden. Die Kommission für das Baulager war gerade abgezogen, hatte sich lobend über die Pläne Jugorows geäußert und war überzeugt, daß in Zukunft kein Fremder mehr in der Nacht das Lager betreten konnte, sobald erst die Meute frei herumlief.
»Sie werden mich fragen«, sagte Maja Petrowna atemlos zu Jugorow. »Niktin hat er schon geholt, dieser Bacharew vom Tobolsker KGB.« Sie umklammerte seine Hand und zitterte bis zu den Fußspitzen. »Nicht nur fragen werden sie mich … quälen werden sie mich, und wer ist so stark, das auszuhalten? Sie werden deinen Namen aus mir herausschlagen …«
Jugorow blickte zu seinen Hunden und beschimpfte sich innerlich selbst. Zu schön hatte er den Einfall gefunden, Niktin den bewußten Zettel aufs Bett zu legen. Eigentlich war er erst dadurch auf diese Idee gekommen, daß Walja ihm erzählte, sie habe, wie alle Neuankömmlinge im Lager, auch Maja Petrowna untersucht und dabei den kleinen Leberfleck entdeckt. Sie hatte sogar gefragt: »Wenn ich nun auch so einen kleinen Leberfleck hätte?« Und er hatte geantwortet: »Du hast keinen. Ich kenne jeden Millimeter deines Körpers.« – »Aber wenn doch?« ließ sie nicht locker, und er hatte sie an sich gezogen und geflüstert: »Ich würde mehrmals am Tag kontrollieren, ob er noch da ist …« Und eben dabei war ihm der Gedanke mit dem Zettel gekommen. Ein dämlicher Einfall, der nun zur Gefahr wurde. Ein Fehler, der ihm nicht hätte unterlaufen dürfen. Wie konnte man das jetzt irgendwie ausbügeln?
»Beschreib doch einfach einen anderen Mann, der Nasarow geschlagen hat«, sagte er zu Maja Petrowna »Irgendeinen unbekannten. Warum sollten sie dir nicht glauben? Stell dir vor, Krasnikow wäre es gewesen. Ja, das ist gut: Beschreibe Krasnikows Aussehen. An ihn wird trotzdem niemand denken, und außerdem war Krasnikow an diesem Morgen auf der Baustelle. Er hat eine Menge Zeugen. Nur keine Angst, Maja Petrowna.«
»Noch etwas muß ich dir sagen.« Maja stockte und blickte verlegen zu Boden. Ja, selbst das war bei ihr noch möglich. »Vor zwei Jahren … Bacharews Geliebte war ich … Er weiß zu gut, wie ich lügen kann … Nichts wird er mir glauben.«
»Aber er kann dir auch nicht das Gegenteil beweisen. Sag, wie es war. Du hast dich umgedreht und das Gesicht ins Gras gedrückt. Was kann man da noch sehen?«
»Aber … aber Niktin weiß jetzt alles.«
»Von ihm hast du am wenigsten zu befürchten. Ihn zu besänftigen, brauchst du nur eine Nacht. Auch wenn du ein Teufelchen bist – für einen Mann wie Niktin bist du direkt aus dem Paradies gekommen.«
Man mußte so mit Maja sprechen, um sie zu beruhigen. Es war die Sprache, die sie verstand. Tatsächlich verließ sie Jugorow etwas entspannter, stellte sich Krasnikow vor und versuchte, ihn zu beschreiben. Es gelang vortrefflich. Wie man als Frau einen Mann betrachtet, das brauchte man Maja Petrowna nicht mehr zu lehren.
Nun saß sie also allein in einem Zimmer bei den Schemjakins, als Bacharew eintrat und sie so unpersönlich anblickte, so fremd, als begegne er ihr zum erstenmal.
»Frag los, Pjotr Dimitrowitsch«, sagte sie, ehe Bacharew ein Wort loswurde. »Fangen wir an beim Wichtigsten: Ja, ich war mit dem Major im Wald.«
»Wer hat Nasarow so zugerichtet?«
»Weiß ich es? Er stand
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