Sibirisches Roulette
wiederhabe, und blickte Meteljew nach, wie er davonfuhr. Erst als er außer Sichtweite war, fiel Noskow ein, daß er die fünf Rubel nicht bekommen hatte. Immerhin: Das Geschäft war mit einem Handschlag besiegelt worden. Aber wenn er nun ein Schurke ist? Dann wird er behaupten, er habe mir die Rubel bereits gegeben, dachte Noskow wütend. Aber wehe ihm! Auch einen Geologen kann man schmerzhaft in den Hintern treten!
Meteljew stellte das Rad an einem Eisenkreuz auf dem Friedhof ab und wartete. Die Bewohner von Lebedewka strömten zur Kirche, der Pope Schagin empfing jeden an der Kirchentür, gab jedem die Hand, sagte »Gott segne dich!« und zu Großväterchen Beljakow, der seine Frau vor sich herrollte: »Hast du's gezählt? Fehlt nicht ein Orden?« Worauf der Alte giftig zurückzischte: »Leck mich, Väterchen!« Schagin wiederum antwortete: »Leider bist du nicht aus Schokolade.« – Wirklich, es schien ein feierlicher Sonntag zu werden.
Dichtgedrängt standen dann alle in der Kirche. Niemand fehlte – bis auf Soja Gamsatowna und Trofimow, was viele bedauerten. Nicht, weil sie den Alten heute nicht wieder anfurzen konnten, im Gegenteil: Man wollte den beiden die Hand drücken, freundlich zu ihnen sein, für vieles um ein stilles Verzeihen bitten; denn Trofimow hatte bei der Beherbergung der Geiseln gezeigt, daß er doch zum Dorf gehörte. Das mußte anerkannt werden. Aber nun war er nicht da.
Meteljew, hinter der Kirche wartend, wurde unruhig. Drinnen ertönte der erste Gesang, Totengräber Wassja sang vor, der Gottesdienst begann, und von Walja und Jugorow war noch nichts zu sehen. Doch dann machte Meteljew den Jeep von weitem aus, versteckte sich hinter einem Busch und beobachtete, wie Walja und Jugorow das Gotteshaus betraten.
Glück, komm zu mir, dachte Meteljew fast lyrisch. Laß die zwei nach der Kirche zu den Geiseln fahren. Laß mich den ›Spezialisten‹ sehen. Auch wenn ich nicht weiß, wie er aussieht – ich werde ihn erkennen.
In der ersten Reihe standen, wie immer, Korolew, Rudenko und Goldanski. Neben ihnen, auf die Griffe des Rollstuhls gestützt, murmelte Großväterchen Beljakow vor sich hin. Schagin hatte gerade die Hände gefaltet und sang mit kräftiger Stimme das Eingangslied mit, als sich Goldanski zu Korolews Ohr beugte.
»Meteljew ist draußen«, flüsterte er. »Sitzt auf dem Friedhof. Hinter einem Busch. Denkt, ich hätte ihn nicht gesehen. Gib es weiter an Jugorow; er kommt gerade herein.«
Aber unmöglich war das. Walja stand mit ihm ganz hinten an der Tür, und zwischen ihm und Korolew baute sich die Mauer der dichtgedrängten Leiber auf. Man kam nicht ran an ihn, erst nach dem Gottesdienst.
»Sollen wir bis zum Ende hierbleiben?« flüsterte Walja und sah Jugorow mit zurückgelehntem Kopf an. »Oder sollen wir sofort weiterfahren?«
»Wie du willst, Waljascha.«
»Dann laß uns gehen. Oder mußt du beten?«
»Nicht unbedingt.« Er legte die Arme über ihre Schulter, und seine Hände drückten unbeabsichtigt auf ihre Brüste. Er bemerkte das gar nicht, aber Walja schloß die Augen und gab sich dem heißen Gefühl hin, das sie sofort durchrann. »Du hast noch nie gebetet?« fragte er.
»Nein. Wo und warum?« flüsterte sie und meinte, ihre Brüste würden brennen. »Aber ich könnte es lernen … für dich … Gott, beschütze unser Glück …«
»Gott, beschütze unser Glück!« wiederholte Jugorow leise, nahm seine Hände weg und streichelte ihren Nacken. »Gehen wir, Walja … Schöneres können wir nicht mehr beten.«
Sie nickte wortlos, noch immer den Druck seiner Hände auf ihren Brüsten spürend, und verließ mit ihm die Kirche. Draußen, auf dem Platz, hakte sie sich bei ihm unter.
Meteljew hinter seinem Busch spannte sich und bog die Zweige auseinander, um besser sehen zu können. Jugorow und Walja Borisowna gingen zum Jeep zurück, stiegen ein und küßten sich, bevor Jugorow den Motor anließ.
Das ist es, dachte Meteljew, und sein Herz klopfte heftig. Das ist meine Stunde. Krasnikow, am Nachmittag lachst du nicht mehr über mich. Ich werde dir sagen, wie der ›Spezialist‹ aussieht, ich kann dich zu ihm führen, wir haben unseren Auftrag erfüllt. Befördert werden wir, vier Wochen Erholung auf der Krim, die Tapferkeitsmedaille, ein neuer Einsatz, diesmal im Ausland … Victor Ifanowitsch, du träger Ochse, die letzte Kugel des Roulettes rollt für uns!
Er wartete, bis Jugorow und Walja abgefahren waren, und schwang sich dann auf Noskows Fahrrad.
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