Sibirisches Roulette
Mann suchen ihn jetzt. Ich fürchte, es ist vergeblich.«
»Ein Mensch kann doch nicht einfach verschwinden, Krasnikow.«
»Hier schon … wir haben hier die Sümpfe. Von Meteljew werden wir nie wieder etwas sehen.«
»Sie sind jetzt auf sich allein angewiesen!« Man hörte es Tjunins Stimme an, wie sehr er an seiner Enttäuschung trug. »Krasnikow, Sie tragen jetzt die doppelte Last. Sie kämpfen gegen eine Art Phantom. Könnte der ›Spezialist‹ Sie enttarnt haben?«
»Ausgeschlossen, Genosse General.«
»Dann wußte er auch nicht, wer Meteljew war, und hat ihn trotzdem umgebracht. Den Befreier seiner Leute. Irgendwas stimmt da nicht …«
»Darüber denke ich seit gestern abend nach. Einen Fehler muß Meteljew begangen haben.«
»Und dieser Fehler entblößt auch Sie, Krasnikow.«
»Es könnte sein –«, sagte Krasnikow vorsichtig.
»So vieles ist bei euch am Tobol ein Rätsel.« Tjunin blätterte in den Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen, Meldungen aus aller Welt; aus Orten, in denen die GRU unsichtbar in das Geschehen eingriff. »Aus Tobolsk hat mir General Pychtin den abschließenden Obduktionsbericht über Major Nasarow geschickt. Bei aller Gründlichkeit hat man nicht herausgefunden, woran Nasarow gestorben war. Das Herz blieb einfach stehen, sagen die Mediziner. So etwas gibt's, man soll es nicht für möglich halten. Wie denken Sie darüber?«
Meteljew, lieber Freund, dachte Krasnikow, das ist mein letzter Dienst für dich. »Ich bin kein Mediziner, Genosse General«, antwortete er. »Man muß hinnehmen, was die Wissenschaft sagt. – Haben Sie noch Anweisungen?«
»Nein!« Tjunins Stimme klang wieder klarer. »Rufen Sie erst wieder an, wenn Sie mir das Ende des ›Spezialisten‹ melden können. Passen Sie auf sich auf, Krasnikow.«
Ein Knacken beendete das Gespräch. General Tjunin hatte aufgelegt. Etwas wie Resignation lag in dem Abbruch. Kein Feldherr verliert gern eine Armee … und Meteljew war für Tjunin wie eine Armee gewesen.
Das Ende des Tages brachte die Gewißheit: Meteljew war und blieb verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Suchkolonnen rückten wieder ein, müde und entmutigt. Nichts brachten sie mit, auch nicht Noskows Fahrrad. Doch nein, lügen wir jetzt nicht: Genau besehen, hatte sich das Herumstreifen durch den Wald und Sumpf gelohnt. Man hatte zwar den Genossen Geologen nicht gefunden, dafür aber in lobenswerter Gemeinschaftsarbeit eingefangen oder erlegt: neun Hasen, sechzehn Wildenten, drei Trappen, neun Rebhühner und als Glanzleistung ein verwildertes Schwein. »Kam auf uns zu!« erzählte einer aus dem glücklichen Trupp. »Stürzt sich uns entgegen. Wie gut, daß wir unsere Messer bei uns hatten …«
»Was ist? Was ist?« brüllte Noskow jeden Trupp an, der ins Lager einrückte. »Wo ist mein Fahrrad?! Oh, diese Schufte, diese elenden Halunken! Kümmern sich nur ums Fressen, jagen Hasen und Säue – und an mein Rad denkt niemand! Was habt ihr da draußen gemacht, he?! Nur Munition für eure Ärsche! Ein geschlagener Mann bin ich!«
»Immer das gleiche ist es«, sagte Jugorow am Abend. Er saß bei Schemjakin im Zimmer, Olga Walerinowna hatte ein Stück Rindfleisch ausgekocht und braute aus der Bouillon eine Suppe mit roten Rüben, und Walja saß am Tisch und füllte Karteikarten der neu gemeldeten Kranken aus: vier Furunkulosen, drei Magengeschwüre, eine Gallenentzündung, eine Nierenstauung. »Keinen kann man verdächtigen, niemand hat etwas gesehen oder gehört – ins Leere läuft man. Wie soll das weitergehen? Boris Igorowitsch, ein Rat von mir: Schick Olga Walerinowna und Walja zurück nach Tobolsk. Der Winter kann noch grausam werden.«
»Schon wieder fängt er damit an!« rief Walja und warf den Bleistift weg. »Seit Tagen liegt er mir im Ohr damit. Nein! Ich bleibe hier, solange du in Nowo Gorodjina bist.«
»Erklär es ihr, Schemjakin.« Jugorow trank vorsichtig den heißen Tee. Es war das einzige, wovon sie noch genug hatten. Wasser und gepreßten Tee. Aus Tobolsk hatten sie die Nachricht erhalten, daß ein neuer Transport zusammengestellt werde. Zusammengestellt – das hieß noch nicht, daß er bald hier eintraf. »Warum begreift sie's nicht?! Um uns ist ständige Gefahr. Gibt's einen besseren Beweis als Meteljews Verschwinden? Wer ist morgen dran? Du … Krasnikow … ich … oder vielleicht sogar Walja selbst? Verdammt, ihr müßt in Sicherheit.«
»Wie selbstherrlich er denkt! Ich soll als Ärztin das Lager verlassen?
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