Sibirisches Roulette
zustimmend. »Wenn wir das Rad finden, treffen wir auch Meteljew. Und« – hier stockte er und atmete einmal kräftig durch – »finden wir es ohne Meteljew, dann, Igor Michailowitsch, das verspreche ich, geht hier die Hölle auf!«
»Wen willst du zur Hölle schicken?« fragte Jugorow scheinbar harmlos.
»Das ganze Dorf! Einen nach dem anderen! Bei Korolew fange ich an, dann der Nachbar, Haus für Haus, bis ich weiß, was mit Meteljew geschehen ist.«
Jugorow fuhr rückwärts aus der Halle, Noskow rettete sich mit einem Sprung und fluchte gottserbärmlich, und mit Vollgas rasten sie durch Nowo Gorodjina zur Straße nach Lebedewka.
»Womit willst du sie ausrotten?« fragte Jugorow den finsteren Krasnikow an seiner Seite. »Schwierigkeiten wird das geben. Ein Geologe bist du, nicht einer vom KGB, von der Miliz oder von der GRU … sie werden dich verhaften und in ein Straflager stecken.«
»Man wird sehen.« Krasnikow unterdrückte die Versuchung, Jugorow zu sagen, wer er wirklich war. Ein Freund war Igor Michailowitsch geworden, ein guter Freund. Auf ihn konnte man sich verlassen, seine Papiere stimmten. Die Auskünfte über ihn waren unverdächtig. Meteljews Mißtrauen gehörte zu seinem Wesen; nicht der eigenen Mutter würde er trauen, hat er einmal gesagt; Mißtrauen sei das Fundament der Sicherheit.
Bei den ›Zehn Sängern‹ hielt Jugorow an und lehnte sich zurück. Die Dämmerung begann die Konturen von Wald und Feld aufzulösen. In einem dunklen Grau versank die Landschaft. Es gibt Regen, dachte Jugorow und sah in den Himmel. Der Herbst ist vorbei, beim nächsten harten Wind werden die bunten Blätter davonwehen, und dann wird es regnen, darauf schneien, dann kommt der Frost und der lange Winter, bei dem das Leben unter die Erde kriecht, unter die zugewehten Dächer der Häuser und Ställe.
»Wo beginnen wir, Victor Ifanowitsch?« fragte er. »Wo könnte Meteljew sein? Sieh dich um: Hunderte von Werst Wald, Sumpf, Seen, Grasland. Wie soll man da suchen? Man müßte wissen, wohin Meteljew mit dem Fahrrad wollte. Ha, eine Idee kommt mir! Kann er nicht zu den Geiseln gefahren sein?«
»Was sollte er da?« fragte Krasnikow ausweichend.
»Einen Besuch machen, was weiß ich? Vielleicht zu Svetlana Victorowna? Ein hübsches Weibchen noch … und ihr Mann ging verloren. Auch so was Rätselhaftes, Krasnikow. Wenn Babrak Awdejewitsch ein Auge auf Svetlana geworfen hat … nana, da vergißt man die Stunden. Und die Zeit saust ja auch dahin … Fahren wir zu den Geiseln! Kennst du ihr Versteck?«
Krasnikow stieg aus und ging zwischen den Birken hin und her. Jugorow denkt das Richtige, sagte er sich. Unbewußt hat er die Spur aufgezeigt. Meteljew hat den Weg zu den Entführten gefunden. Irgendwie ist ihm das gelungen. Ohne Jugorow und Walja, wie er sich das eigentlich gedacht hatte. Und dort hat er den ›Spezialisten‹ gesehen und war damit ein toter Mann. Nur so, nur so kann es gewesen sein. Wo aber ist das Versteck der Geiseln? Wo in diesem weiten Rund von Wildnis? Wo soll man suchen?
Krasnikow blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um. Der Abend deckte jetzt die Landschaft zu, feucht begann es schon zu werden, die Erde roch nach Fäulnis. Er kommt nicht wieder, dachte er. Babrak Awdejewitsch, warst ein guter Kamerad, nur deine Lust am Töten war oft bedrückend für mich. Nun hat es dich getroffen … leb' wohl, mein Freund. Adieu. Du hast das tödliche Spiel verloren. Ich werd's für dich weiterspielen, dieses verdammte sibirische Roulette. Wünsch mir Glück, Meteljew …
Er ging zum Jeep zurück, wo Jugorow, die Beine gegen das Vorderblech gestemmt, auf dem harten Sitz hockte und eine Zigarette rauchte. »Auch eine, Victor?« fragte er und hielt Krasnikow die Schachtel hin.
»Ja. Danke.« Krasnikow steckte seine Papirossa an der von Jugorow an, ganz nahe waren jetzt ihre Gesichter, und ihre Augen forschten, die Blicke kreuzten sich. »Zurück –«, sagte Krasnikow und streckte sich wieder.
»Zurück? Warum?«
»Nacht wird es.«
»Wir geben die Suche auf, und haben sie noch nicht mal begonnen?«
»Ja.« Krasnikow stieg wieder in den Jeep. »Recht hast du: Wo soll man suchen?«
»Bei den Geiseln, Victor Ifanowitsch.«
»Ist Meteljew bei den Geiseln, dann kommt er auch zurück«, sagte Krasnikow. »Da brauch' ich nicht zu suchen.«
»Ganz recht. Sind alles neue Freunde und voller Dankbarkeit.« Jugorow ließ den Motor an und grinste Krasnikow in das verhärtete Gesicht. »Soll ich dir
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