Sibirisches Roulette
aber Waljas Kommen und ihr Anblick ließen diese Unbill fast vergessen. Er hatte auf die Wiederkehr der Ärztin gehofft und sich schon die ganze Nacht über ausgemalt, wie sich der Zelteingang heben würde und sie hereinkam, wie ihre Stimme klang, wie ihre weichen Hände seinen Kopf abtasteten und der Duft ihres Parfüms ihn betäubte. Komm wieder, hatte er innerlich immer wieder gesagt. Komm wieder, laß es nicht das einzige und letzte Mal gewesen sein. Sieh dir an, was sie mit mir getan haben. Nun ist auch das andere Auge zu. Aber selbst wenn ich blind werden sollte: Ich sehe dich, sehe dich ganz klar. Keine Augen brauche ich, um dich zu erkennen …
Und nun war sie wirklich gekommen, blickte ihn an, sprach mit ihm, winkte ihm, zu ihr zu kommen. Wie klein war die vergangene Qual gegen diesen Augenblick des Glücks!
»Abgerissen?« fragte Walja und sah Mamjelew strafend an. Der lange Leutnant nickte stumm.
»Und dein anderes Auge?« Sie zeigte dabei auf Beljakows Kopf.
»Auch Major Nasarow«, antwortete Andrej Nikolajewitsch mit klopfendem Herzen. »Aber man kann's ertragen. Welche Freude, daß Sie wiedergekommen sind, Genossin Ärztin!«
Die Augen schloß er, als sie seinen Kopf untersuchte, als ihre weichen Hände über sein Gesicht tasteten und die verquollenen Augen berührten. Bleib, durchrann es ihn, Weib, laß die Hände auf meinen Augen liegen. Gibt's eine bessere Kühlung als dies? Kann etwas besser heilen als deine Finger, deine Wärme, dein Streicheln? Walja Borisowna, niederknien möchte ich vor dir und deine Füße küssen, so wie es früher die Leibeigenen bei ihren Herren taten … nur bleib, bleib noch hier!
»Wo ist Major Nasarow?« hörte er Walja fragen.
»In der Kommandantur, sicherlich«, antwortete Leutnant Mamjelew.
»Sie führen mich gleich hin, Genosse Leutnant.«
Beljakow öffnete die Augen. Walja war von ihm weggetreten und ging hinüber zu Svetlana Victorowna. Mamjelew drehte sich brav wieder um, als er sah, wie Svetlana ihre Bluse öffnete. Die blutige Strieme auf ihrer Brust brannte nicht mehr, die Salbe hatte gut gewirkt, die Entzündung und die Schmerzen weggenommen.
»Nichts wird zurückbleiben, Svetlana«, sagte Walja zu ihr. »Gutes Heilfleisch hast du. Vielleicht nur ein schmaler weißer Streifen, wenn es kalt ist – aber wen stört's?«
»Mich nicht, aber meinen Mann, den läufigen Hund!« Svetlana Victorowna raffte die Bluse wieder zusammen. »Sie haben ihn gesehen, Genossin Ärztin?«
»Masuk? Ich habe ihm die Grüße von dir bestellt.«
»Und was hat er gesagt?«
»Gott sei gedankt, daß sie lebt. Ein Gebet will ich für sie sprechen.«
»Ein Heuchler. Oh, welch ein schmieriger Heuchler! Ein Gebet wird er sprechen, wenn sie mich umgebracht haben.« Ihr Kopf sank nach vorn gegen Waljas Brust, und sie begann zu weinen. »Auf meinen Tod wartet er doch.«
»Warum?«
»Weil er hurt … hurt mit einem Weibsstück, einer Hündin, einer Wolfsbrut … Zergeht wie Butter in der Sonne, wenn er ihre Brüste sieht, ihr weizenblondes Haar, ihren runden, tanzenden Hintern …«
»Ah. Sieh einer an. So einer ist er?« Waljas Herz schien auszusetzen, als habe der Blitz eingeschlagen. Sie hatte Mühe, sich zu beherrschen. Das muß sie sein, dachte sie. Nur sie kann man damit meinen: Jugorow teilt ein Weib mit Masuk! Man muß sich ekeln. Oder kann es sein, daß Jugorow nichts davon weiß? Liegt er ahnungslos in dem Bett, das Masuk gerade frei gemacht hat?! »Wie … wie heißt sie …«, fragte sie.
»Soja Gamsatowna, die Tochter von Trofimow.«
»In Lebedewka?«
»Nein!« Svetlanas Weinen stockte einen Augenblick. »Niemand will sie haben. Beleidigung ist es, wenn man sie zu Lebedewka rechnet. Allein hausen sie im Sumpf, in einem verfluchten Haus, dem Schwarzen Haus … wir sehen die Trofimows nicht, keiner sieht sie an, auch wenn sie in der Kirche neben uns stehen … Fährt sie an uns vorbei, dieses Hürchen, spucken wir aus …«
»Sie fährt? Womit?«
»Mit einem Motorrad. Woher hat sie es, fragt man? Eines Tages kam sie damit an, aus Tobolsk. Wird sich's erlegen haben bei einem einflußreichen Genossen. So ist es! Mit ihr betrügt mich Lew Andrejewitsch.«
Wieder weinte sie, drückte den Kopf zwischen Waljas Brüste und zuckte am ganzen Körper.
So eine ist sie also, das Täubchen von Jugorow! Paßt zu ihm, wenn er Aufrufe unterschreibt, daß Huren nach Nowo Gorodjina kommen sollen. Nichts anderes hat er verdient. Und doch war wenig Schadenfreude in Waljas
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