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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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Erklärungen hinsichtlich dessen, was wir gerade so Brennendes, Heißes, Heikles oben im Zimmer erlebt hatten, keine Spitzfindigkeiten, Rechtfertigungen oder Räsonnements, das war, daß ich sie umarmte und küßte, mehr nicht – und dafür war Intelligenz keine Hilfe.
    Marie schaute mich weiter an, das Gesicht intensiv und reglos, der Körper geschmückt mit dem sternenübersäten nachtblauen Seidenkleid, Straß und Satin, chinierte Wolle und Organza, aus ihrer Kollektion, ihren schwarzen Ledermantel wie einen Schal nachlässig über die Schultern drapiert. Sie rauchte schweigend, in einer verhangenen Aura aus träumerischer Melancholie, die lässig zwischen ihren Lippen hervorzukommen schien, um als Rauch an der Decke zu verschwinden. Hast du dir Sorgen gemacht? fragte ich. Sie antwortete nicht sofort, nickte schließlich, widerwillig, indem sie nur ganz leicht den Nacken bewegte, mit sacht zitterndem Haar. Wo warst du? sagte sie, und als ich erklärte, ich sei ins letzte Stockwerk des Hotels gefahren und habe im Schwimmbad gebadet, sah ich sie gedankenvoll lächeln. Ja, ich weiß, ich hab dich gesehen, sagte sie nach einer Weile zu mir. Du hast mich gesehen? sagte ich. Und da erzählte sie mir, daß sie ebenfalls das Fax an der Rezeption holen wollte und, als sie mich dort nicht antraf, das Hotel verlassen hatte, um mich zu suchen. Ich hörte ihr schweigend zu, mir war nicht klar, worauf sie hinauswollte. Draußen hatte sie den Kopf gehoben, um das Hotel von außen zu betrachten, sie hatte mit den Augen unser Zimmer im 16. Stock gesucht, alle Lichter des Hotels waren ausgeschaltet, alle schliefen. Sie hatte sich in ihrem Kleid aus der eigenen Kollektion in der Nacht entfernt, sie wußte nicht genau, wohin sie ging, aufs Geratewohl irrte sie in der Mitte der Fahrbahn umher, hob von Zeit zu Zeit nochmals den Kopf zur fernen Fassade des Hotels, als ihr Blick schließlich von der Glaskuppel des Schwimmbads im letzten Stockwerk angezogen wurde, wo sie den Eindruck hatte, als sehe sie jemanden flüchtig sich bewegen. Sie hatte dem nicht sonderlich Aufmerksamkeit geschenkt, doch als sie wieder zum Hotel zurückkam, hatte sie nochmals den Kopf gehoben, und da hatte sie mich gesehen, sie hatte mich deutlich hinter der Glasfront gesehen, sie war sicher, daß ich das war, diese reglose Gestalt in der Nacht zwischen den erleuchteten Wolkenkratzern. Du denkst dir da was aus, sagte ich. Nein, ich denk mir nichts aus. Du denkst dir was aus, sagte sie.
    Sie lächelte mir zu. Sie hatte ein zweideutiges Lächeln, das ich an ihr nicht kannte, etwas beunruhigend, leicht wahnsinnig. Komm, laß uns gehen, sagte sie und stand auch schon abrupt auf, ich halt das Hotel nicht mehr aus. Komm, wiederholte sie, nahm mich am Arm und zog mich zum Ausgang. Ich schlurfte hinter ihr her, versuchte ihr beizubringen, daß wir fürs Ausgehen nicht angezogen waren, wir könnten wenigstens noch mal ins Zimmer zurückgehen und einen Mantel holen, aber sie wollte nichts davon wissen, sie zog mich zum Ausgang und warf mir dabei ihren großen schwarzen Ledermantel über die Schultern. Da, nimm den, du frierst ja, Weichling, sagte sie, und sie hielt in der Halle inne, um mich zu mustern und mir ein schönes becircendes Lächeln zuzuwerfen, in dem zugleich Arglosigkeit und Provokation steckten. Und da, im heftigen Aufblitzen der lustvollen Freude in ihren Augen, war mir, als würde ich sie plötzlich wiederfinden, sie ganz sie selbst, unberechenbar und kapriziös, anstrengend, unvergleichlich.
    Wir traten aus den Schiebetüren, die sich automatisch vor uns geöffnet hatten, und fanden uns wieder in der frischen Nachtluft auf der menschenleeren Außentreppe. Ein Dutzend Meter entfernt stand ein Taxi, und wir erwarteten vage sein Kommen, als wir in die Runde schauten, aber es rollte uns nicht entgegen (schlicht deshalb, weil der Fahrer schlief, wie uns einige Augenblicke später klar wurde, als wir seinen liegenden Körper im Halbdämmer sahen, den Sitz nach hinten gekippt). Wir liefen etwas schneller, um die wenigen Meter auf dem Privatweg des Hotels hinter uns zu bringen, überquerten rennend und händchenhaltend die Straße, hüpften über eine winzige Brüstung, um zur anderen Straßenseite zu gelangen, zwängten uns zwischen den Ästen eines Zwergengebüschs hindurch und schürften uns dabei die Knöchel auf. Noch im Laufen hatte ich Maries Mantel übergezogen, der viel zu klein für mich war, und Marie um die Schultern gefaßt, um sie zu wärmen (dabei

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