Sich vom Schmerz befreien
und
Nacht, Ebbe und Flut, Sommer und Winter usw.). So entwickelt ein Organismus auch seinen individuellen Wach-Schlaf-Rhythmus - ein Verhalten, das aber ebenfalls von Spannung betroffen sein kann.
Und auch hier gilt, dass durch ein Schlafmittel - eine »Reparatur« von auÃen - die Gefahr besteht, das Problem nicht zu lösen, sondern sogar zu verschlimmern. Wie kommt es dazu? Zwar wirkt ein Schlafmittel auf die Aktivität bestimmter Teilgehirne ein, »betäubt« sie und führt somit zum Schlaf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser »entspannt« ist und das gesamte System im Gleichgewicht arbeitet. Das Spannungsthema besteht weiterhin. Es zeigt sich zwar nicht mehr im Schlafvorgang, kann aber dafür anderswo als Problem in Erscheinung treten.
Da sich durch eine kommunikative Therapie Verhaltensprozesse neu organisieren, ändert sich auch die Spannung. Eine Veränderung in Richtung Gleichgewicht ermöglicht dem Organismus, einen neuen Wach-Schlaf-Rhythmus zu finden, also letztendlich wieder »schlafen zu lernen«. Dafür braucht er einige Zeit mit Phasen wenigen oder schlechten Schlafs, da das Schlafverhalten lange »fremdgesteuert« war - im Fall von Herrn M. nahezu 15 Jahre. Der Organismus musste sich erst wieder daran erinnern. Dies geschah durch die therapeutische Unterstützung sehr schnell, sodass sich Herr M. bald darauf durch zwei Stunden »natürlichen« Schlafs mehr regenerierte als durch 10 Stunden »erzwungenen« Schlafs.
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Kehren wir zurück zum Schmerzproblem: Wenn neben ihm andere Krankheiten diagnostiziert werden, dürfte es sich von selbst verstehen, dass auch innerhalb einer kommunikativen Schmerztherapie andere und notwendige medizinische Behandlungen integriert werden müssen, um den Patienten zu schützen, auch wenn es oft sehr schwierig ist, eine entsprechende Zusammenarbeit zu organisieren. Unsere Medizin ist noch zu sehr vom »naturwissenschaftlichen« Denken bestimmt.
Dies gilt auch für die Schmerztherapie. In Kapitel 2 haben Sie erfahren, wie die Schmerzprobleme im Leben von Herrn M. nacheinander und jedes für sich diagnostiziert und durch die Addition mehrerer medizinischer und psychotherapeutischer MaÃnahmen sogar »ganzheitlich« behandelt wurden. Im Maschinenmodell handelt es sich also um viele verschiedene Schmerzarten und noch mehr Ursachen.
Bevor Herr M. wegen seiner Knieprobleme zu mir kam, meinte ein Arzt, er werde wohl langfristig um eine Operation nicht herumkommen, bis dahin müsse er sein Knie schonen und entsprechend therapeutisch und medikamentös behandeln. In unserer hoch spezialisierten Medizin werden - trotz moderner systemtheoretischer Ansätze - für die Erklärung von Schmerzen keine Verbindungen zwischen den verschiedenen Arten und Problemen hergestellt. Das heiÃt: Wurde einmal eine Arthrose diagnostiziert, dann wird diese Ursache behandelt. Erst recht werden alle anderen Schmerzen und Symptome eigenständig diagnostiziert und »repariert«. Die einzelnen Probleme werden nicht als aktives Verhalten gesehen, die Ausdruck von Spannung sind und dadurch auch zusammenhängen. Aus dieser Sicht würde also eine FuÃverletzung im Kindesalter nie mit den aktuellen Knieschmerzen des Erwachsenen in Verbindung gebracht werden. Dieser Zusammenhang ist natürlich auch nicht nachweisbar und somit im naturwissenschaftlichen Denken »spekulativ«. Auch bei Herrn M. gab es keine objektiven Ursachen, nicht einmal psychische, da der Vorfall bis zu unserer Sitzung völlig aus seinem Gedächtnis gestrichen war und auch danach nicht von ihm als belastend oder als Problem erlebt wurde.
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Wie Sie sehen, ist das Spannungsmodell keine Theorie im naturwissenschaftlichen Verständnis. Und doch kann anhand dieser Geschichte Schmerz allgemein charakterisiert werden. Er ist, auch wenn er zum Problem wurde, ein unvermeidliches
Verhalten zur Regulation von Muskelspannung. Gerät dieses in eine Teufelsspirale, gräbt es sich immer tiefer ein, entwickelt sich weiter, findet neue Erscheinungsformen, und es entstehen mehr und neue Probleme. Schmerz wird zu einem Prozess, zu einem Verhalten, das ständig neu produziert wird, um etwas zu regulieren. Doch damit trägt es dazu bei, das Problem zu vergröÃern. Und dies wird durch die mechanische und betäubende Schmerzbehandlung in unserer Medizin noch verstärkt.
Es scheint also, als habe das Verhalten Schmerz bei
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