Sich vom Schmerz befreien
Schmerzen. Im Schmerz, den Sie erleben, ist beides vereint. Der subjektive Körper ist ein Prozess ständiger Veränderung, der von Ihren Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen abhängt.
Kommunikative Schmerztherapie: Das Spiel mit der Balance
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»Erst wenn ich weiÃ, was ich tu, kann ich tun, was ich will.«
Moshé Feldenkrais
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Dieses Kapitel soll Ihnen dabei helfen, die geeignete Unterstützung für sich und Ihr Schmerzproblem zu finden. Wie Sie inzwischen wissen, haben Schmerzen, die zu einem Problem geworden sind, mit der Komplexität des Gehirns zu tun. Denn mit dessen evolutionärer Weiterentwicklung besitzt es auch mehr Möglichkeiten, Muskelaktivitäten unharmonisch zu steuern und dadurch Spannungs- bzw. Schmerzprobleme zu produzieren. Zum Glück ist aber ein weiterentwickeltes Gehirn auch in der Lage, sie wieder zu lösen. Dazu muss sich - das sollte mittlerweile klar geworden sein - der Betroffene aktiv mit der eigenen Muskelaktivität auseinandersetzen. Eine mechanische »Reparaturbehandlung« bleibt, was die langfristige Vermeidung von Schmerzen anbelangt, ein Glücksspiel. Bei akuten Schmerzen, beispielsweise einer Verletzung, wenn noch keine »Teufelsspirale« besteht und wenn das Nervensystem durch die Schmerzbehandlung oder Koppelung an emotionale
Belastungen (vor allem Angst) keine neuen Muskelspannungen und damit Schmerzen produziert, kann sie in vielen Fällen natürlich genügen. Wenn dem Nervensystem dadurch (zufällig) die richtigen Spannungsinformationen gegeben werden und der Organismus ins Gleichgewicht findet, ist das Thema (vorerst) erledigt.
Um jedoch Probleme zu vermeiden, bedarf es immer auch einer kommunikativen Therapie, wie ich sie in Kapitel 1 allgemein charakterisiert habe. Doch wie sieht solch eine Thrapie konkret aus? Wie kann aus unserer »mechanischen« eine »kommunikative« Schmerzbehandlung werden? Was bedeutet es für therapeutisches Handeln, wenn es nicht nur darum geht, einen Defekt in der »Maschine« Organismus zu beheben und objektive Schmerzursachen zu beseitigen, sondern Schmerz als sinnvolles Verhalten zu betrachten, das einer »individuellen Logik« folgt?
Kommunikative Therapie soll, wie inzwischen sicherlich klar geworden ist, »unbewusste Lernprozesse« initiieren. Wenn Spannungsvorgänge im System von Muskulatur und Bindegewebe die Grundlage für Schmerzen sind, bedeutet Therapie, durch geeignete Informationen dem System zu ermöglichen, sich seines Verhaltens bewusst zu werden und diese Vorgänge wieder im Gleichgewicht zu steuern. Gewöhnlich wird dabei nicht etwas Neues gelernt, sondern letztendlich geht es darum, etwas Verlorenes wiederzuentdecken: das Spannungsgleichgewicht. Dafür ist es notwendig, sich in die subjektive Schmerzwelt des Betroffenen zu begeben, ihn und sein Erleben zum Ausgangspunkt zu machen und ihm entsprechende Informationen über sein Spannungsverhalten zu geben, damit er aus seinem Schmerz herausfinden kann.
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Rufen wir uns noch einmal das allgemeine Schema kommunikativer Schmerztherapie aus Kapitel 1 ins Gedächtnis (siehe S. 51). Ich gehe dabei davon aus, dass sich der Prozess beim
Patienten und Therapeuten auf zwei Verhaltensebenen abspielt, und zwar auf der bewussten und der unbewussten. Dabei muss man sich stets vor Augen halten, dass es sich nicht um zwei fixe Zustände handelt, die irgendwie durch objektive Tatsachen im Nervensystem definiert werden können. Wichtig ist hier, ob ein Verhalten - also eine Muskelaktivität, ein Gedanke, ein Gefühl oder eine Wahrnehmung - in diesem Moment (direkt oder indirekt) der willentlichen Kontrolle unterliegt. Dann ist sie bewusst.
Nehmen wir als Beispiel die Tätigkeit »Gehen«, eine sogenannte »Willkürbewegung«. Was daran ist willkürlich bzw. bewusst? In Kapitel 3 haben wir bezüglich der Bewegungssteuerung festgestellt, dass die GroÃhirnrinde, also das bewusste motorische Zentrum, die Funktion des Steuermanns erfüllt, der die Arbeit der Schiffsbesatzung überwacht (siehe S. 93 ff.). Sie entscheidet, wann die Bewegung gestartet wird, gibt Richtung und Geschwindigkeit vor. Die Auswahl der Muskeln, ihr Zusammenspiel und erst recht das der Muskelfasern innerhalb eines Muskels, also der Bewegungsablauf, erfolgt dann gewohnheitsmäÃig und unbewusst. Während des Gehens gibt es unterschiedliche Gedanken, Wahrnehmungen und Erlebnisse, von
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