Sich vom Schmerz befreien
Konflikte immer körperlich in verschiedenster muskulärer Aktivität beider Körperhälften aus.
Doch auch hier gilt: Objektive und subjektiv wahrgenommene Unterschiede müssen sich nicht entsprechen. Wegen des Prinzips der Plastizität können objektive Muskelspannungen auch zu strukturellen Unterschieden führen (siehe S. 32 f.)! Das Zusammenspiel beider Hemisphären mit Hilfe verbaler körpertherapeutischer Methoden zu harmonisieren, ist in der kommunikativen Schmerztherapie eine wichtige Möglichkeit für den Patienten, Muskelspannung durch willentliches Tun kontrollieren zu lernen. Um das Gleichgewicht zwischen links und rechts zu finden, muss man sich zunächst des Ungleichgewichts, also der Spannung, bewusstwerden. Dies wird dadurch unterstützt, dass man den Unterschied erst einmal bewusst vergröÃert, indem man die Entspannungs- und Bewegungs-übung nur auf einer Seite ausführt und die entsprechenden Fragen stellt. Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass wir in der zweiten Ãbung (S. 134 ff.) nur mit dem rechten Arm gearbeitet haben. Hat sich Ihre rechte Körperhälfte zunächst völlig anders angefühlt als die linke?
In den einzelnen Methoden finden sich viele weitere technische Möglichkeiten, um den Patienten den Unterschied zwischen Spannung und Entspannung bzw. Gleichgewicht bewusst erleben zu lassen, vor allem um ihm die Erkenntnis zu geben, wie »verspannt« er sein Verhalten im Alltag gewohnheitsmäÃig organisiert. Deshalb wird er aufgefordert, Bewegungen auf eine Art zu machen, die diese Muster unterbrechen (»Kopf und Arm rollen gemeinsam nach links und rechts«, nach einiger Zeit »rollen sie völlig entspannt und leicht aufeinander zu und wieder auseinander«). Für viele Menschen ist dieses entgegengesetzte Bewegen so ungewohnt, dass es ihnen zunächst gar nicht mühelos gelingt. Nach und nach »erinnert« sich das Nervensystem jedoch daran, die Bewegung wird leichter und hängt oft unmittelbar mit einer Schmerzveränderung zusammen.
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Ein wichtiger Punkt kommunikativer Therapie ist, wie mehrfach erwähnt, sich stets darüber bewusst zu sein, dass Muskelaktivität immer auch ein psychischer Vorgang ist und in Gedanken und Emotionen seinen Ausdruck findet. Somit zeigen sich, wie wir längst wissen, auch Muskelspannung und ihre Veränderung immer psychisch, wenn natürlich nicht notwendigerweise als Problem (siehe auch die Geschichte des Herrn M. auf S. 118 f.). Ich erlebe täglich, dass eine Veränderung der Muskelspannung zu psychischen Reaktionen führt. So kann sich beispielsweise bei einem Migränepatienten die »Spannung im Nacken lösen«, die hinter seinen Kopfschmerzen steckt, und mit dieser auch die »Angst im Nacken«. Plötzlich flieÃen Tränen, für die es »keinen Grund gibt«. Oft erinnert sich ein Patient in der Situation an ein Angsterleben, das weit zurückliegen kann und aktuell keine Bedeutung mehr hat. Ãber die Muskelspannung hat er es, wenn man so will, »verdrängt«, konnte sie aber nicht auflösen, sodass ein Kopfschmerzproblem entstand. In diesem Fall löst eine mechanische Behandlung durch Medikamente das Problem nicht, und auch kein psychotherapeutisches Gespräch, bei dem die Muskelspannung nicht integriert wird. Der Patient muss seine Spannung hinter dem Schmerz auflösen.
Während einer kommunikativen Schmerztherapie muss der Therapeut also stets achtsam sein für Symptomveränderungen, muss der Spannung folgen, bei Bedarf die Behandlungsebene wechseln und - wenn nötig - einen anderen Arzt oder Therapeuten hinzuziehen. Diese Veränderung betrifft nicht nur Schmerz und Psyche, sie kann sich auch in anderen Körpersystemen zeigen: Blutdruck-, Magen-Darm- oder Hautreaktionen sind Beispiele.
Die Steuerung der Muskelaktivität betrifft, wie ich in Kapitel 3 erläutert habe, unmittelbar auch die Atmung. Auch hier kann es zu Reaktionen kommen, die subjektiv beispielsweise als »schweres« oder »leichteres« Atmen erlebt werden
(je nachdem, ob es sich um eine Spannungs- oder eine Entspannungsreaktion handelt). Erfahrungsgemäà betrifft dies nicht selten Menschen, die neben ihren Schmerzen auch anfällig für Atemwegserkrankungen sind oder früher damit zu tun hatten. Hier besteht natürlich die Möglichkeit, die Atmung direkt kommunikativ therapeutisch mit einzubeziehen. Gezielte
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