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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Weitzer
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Knie gebessert, der untere Rücken jedoch schmerzte wieder stärker und ganz unerwartet hatte sich das linke Sprunggelenk gemeldet. Herr M. lag entspannt auf meiner Therapiebank, ich stand am unteren Ende und hielt in jeder Hand einen seiner Füße. Von außen betrachtet tat ich nichts weiter. Tatsächlich spürte ich jedoch den Bewegungsaktivitäten und Spannungen in seinen Beinen nach, unterstützte und verstärkte sie leicht, sodass es zu winzigen Bewegungen kam. Auf diese Weise »sprach« ich mit seinem unbewussten System. Herr M. war im Spüren seines Körpers vertieft, wir redeten wenig. Plötzlich öffnete er seine Augen und sagte: »Merken Sie, wie mein rechtes Bein dagegenhält? Ich will das gar nicht!« Durch die kleinen Bewegungen der beiden Beine wurde sein unbewusstes System auf sein Spannungsverhalten aufmerksam. Er nahm bewusst den Unterschied zwischen den Empfindungen auf der linken und denen auf der rechten Seite wahr. In dem Zusammenhang begann heftig sein Rücken zu schmerzen und Herr M. fühlte sich »innerlich aufgeregt«. In jener Situation schmerzte auch sein linkes Sprunggelenk und er erinnerte sich daran, wie er es sich als Kind verletzt hatte.
    Wenn das System »antwortet« - wie muss man sich das vorstellen? Alle Bewegungen ergeben ein »Spannungsgefühl«, das dem Patienten als Information gemeldet wird. Bestimmte Bewegungen lassen ihn den Unterschied zwischen linkem und rechtem Bein, zwischen Spannung und Entspannung erleben. Für diese Art manueller Kommunikation gelten also Prinzipien, die ich oben für die verbale Kommunikation beschrieben habe.

    Ich erinnere mich, dass sich seit dieser Stunde das Schmerzproblem und der Therapieverlauf bei Herrn M. änderten. Zum einen kamen die früheren Nacken-, Kopf- und Bauchschmerzprobleme sowie psychische Komponenten ins Spiel. Außerdem wurde Herrn M. bewusst, wie sein Spannungsverhalten unmittelbar zum Knieschmerz führt und wie Knie- und Rückenschmerz zusammenhängen. Wir begannen dann, verbal zu arbeiten, und er setzte sich durch eigene Bewegungs-, Entspannungs- und Körperwahrnehmungsübungen (ähnlich wie in der Übung auf S. 134 ff.) damit auseinander. Er erzählte mir, dass er immer öfter bemerke, »wie sein Bein den Schmerz loslässt«. Ihm gelang es zunehmend, sich selbst ins Gleichgewicht zu bringen und »aus den Schmerzen herauszuholen«. Vom Nervensystem aus betrachtet lernte seine Großhirnrinde wieder, unbewusste Spannungen wahrzunehmen und zu hemmen, was sich nicht nur im Schmerz, sondern auch in psychischen Reaktionen zeigte. Sie hat also ein Stück weit ihre Fertigkeiten als Steuermann zurückgewonnen, die sie durch Belastungen und Spannungen verlernt hatte.
    Doch nicht vergessen: Weil nämlich Spannung nicht nur ein muskuläres Thema ist, sondern sich ihre Veränderung immer auch in anderen körperlichen Erscheinungen sowie psychischen Reaktionen bemerkbar macht, ändert sich nicht nur isoliert der Schmerz des Patienten, sondern es treten andere Symptome auf. Dies erfordert weitere therapeutische Techniken und Hilfen.
    Â 
    Fehlt noch der dritte Zugangsweg der manuellen kommunikativen Schmerztherapie. Wieder bringe ich dazu die Plastizität des Organismus ins Spiel: Die Art, wie ich einen Muskel steuere und gebrauche, bestimmt seine Struktur (den Trampelpfad - siehe S. 33 ff.), diese wiederum die Wahrscheinlichkeit für sein Funktionieren. So wird zwar in den strukturellen Veränderungen von Muskulatur, Bindegewebe und Bewegungsapparat,
die in unserer Medizin als Schmerzursachen gelten, das muskuläre Spannungsverhalten verkörpert, ein aktueller Schmerz kann durch sie jedoch nicht erklärt werden. Ihre mechanische Beseitigung löst das Schmerzproblem zumindest dauerhaft nicht - es sei denn, dadurch wird (zufällig) auch das Spannungsverhalten harmonisiert. Es kann sogar sein, dass es dadurch gefestigt und verschlimmert wird. Dennoch können auch manuelle Methoden, die strukturelle Veränderungen direkt beabsichtigen, für die Schmerztherapie eine durchaus wichtige Rolle spielen, vorausgesetzt, sie werden kommunikativ gestaltet.
    Um dies zu erläutern, müssen wir uns die strukturellen Anpassungen an Muskelspannung etwas differenzierter ansehen. Sie haben viele Formen. Am offensichtlichsten ist die unmittelbare Beschaffenheit eines Muskels, der beispielsweise verhärtet und verkürzt

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