Sich vom Schmerz befreien

ist. Moderne Untersuchungen zeigen genauer, dass es bestimmte Bindegewebsstrukturen im Skelettmuskel (vgl. Kapitel 3) sind, die in Anpassung an das Spannungsverhalten augenblicklich ihre Konsistenz verändern: Sie verfestigen sich. Bei länger andauernder, häufiger und gewohnheitsmäßiger Muskelspannung werden die strukturellen Veränderungen dann immer ausgeprägter, bildhaft gesprochen: die Trampelpfade breiter ausgetreten. Es bilden sich schwammige, faserige Gewebe. Diese Anpassungen haben den Zweck, das Nervensystem zu entlasten, das dann weniger intensiv arbeiten muss, um die Spannung zu produzieren.
    Im Laufe der Zeit, bei intensiven »Dauerspannungen«, führt der Prozess zu Erscheinungen, die - wie schon erwähnt - als »degenerative Veränderungen«, »Verschleiß« und »Abnutzungen« bezeichnet werden. Mechanisches Behandeln meint eine »Reparatur« der Ursache, etwa das »Weichmassieren« eines verhärteten oder ein »Dehnen« eines verkürzten Muskels, ohne Berücksichtigung der dahintersteckenden (Spannungs-)Aktivitäten des Nervensystems.
    Wenn man sich um strukturelle Veränderungen kümmert und sie behandeln möchte, bedarf es einer sehr großen Sensibilität in der Berührung. Ein Therapeut muss wissen, auf welcher strukturellen Ebene er sich gerade befindet, darf sich nicht nur daran orientieren, sein »objektives Ziel«, etwa das »Lösen einer Verspannung«, zu erreichen, sondern muss dabei mit dem Patienten in verbalem Kontakt sein, um sich von dessen subjektivem Schmerz- und Spannungserleben leiten zu lassen. Das kennzeichnet einen guten Masseur: Nicht, dass er möglichst viele Techniken beherrscht, sondern dass er dabei mit seinen Händen »spricht«.
    Auch diesen Zugang möchte ich Ihnen exemplarisch anhand einer Methode erläutern, der »Strukturellen Integration« oder auch »Rolfing«, benannt nach ihrer Begründerin, der amerikanische Biochemikerin Ida Rolf. Sie war sich dessen bewusst, dass sich eine strukturelle Veränderung des Gewebes durch eine manuelle Behandlung rückwirkend immer auf die bio-elektrischen Aktivitäten des Nervensystems auswirkt, die zu ihr führen. Genauso wie Moshé Feldenkrais während seiner Kommunikation über Muskelaktivitäten die strukturellen Gegebenheiten berücksichtigte, behielt Ida Rolf während ihrer sanften Bindegewebsbehandlungen stets dabei die Verhaltensprozesse im Auge, die in der Muskulatur und damit im subjektiven (psychischen) Erleben des Patienten stattfanden. Sie arbeitete also kommunikativ, um regulative Prozesse in Gang zu setzen. Übrigens: Auch Ida Rolf und Moshé Feldenkrais kannten und schätzten sich.
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    Ich hoffe, dass Ihnen die Grundzüge von manueller kommunikativer Schmerztherapie nun ein wenig klarer geworden sind, wenngleich sich diese Art der Behandlung nur sehr schwer in Worten ausdrücken lässt. Vielleicht hilft es aber, wenn ich im Folgenden eine Patientin zu Wort kommen lasse, die nach einer mehrwöchigen Behandlungsphase mit Schwerpunkt manueller Behandlung Folgendes sagte:
    Â»Völlig entspannt auf der Therapiebank wurde ich durch Körperarbeit in die inneren Räume meines Körpers geleitet; den Bewegungen zum Beispiel eines einzigen kleinen Körperteils folgend in seiner ihm eigenen Art und Weise, wie er sich durch meinen gesamten Organismus über Muskeln, Gelenke bis ins feinste Gewebe ausbreitet. Dabei lernte ich die unterschiedlichen Reaktionen zuzulassen, ihnen nachzuspüren, zu fühlen, zu erleben, wann und wie die ›Bewegungswelle‹ auf geschädigte oder vernarbte Bereiche trifft, sie umläuft, lokalisiert und aufzeigt und endlich mir dadurch bewusst wird, wo sie sich wirklich befinden und wie man sie zum Mitschwingen wieder einladen kann. Mit Schmerzen anders umgehen.
    Das Nervensystem wurde aktiv vom Therapeuten geführt und mit einbezogen. So habe ich nach schweren Operationen sogar Lähmungen in Teilen meines Bauchraums mit dessen Hilfe auflösen können. Mit Medikamenten habe ich mich nicht mehr betäubt. Jetzt erst wurde mein Zustand vollständig erlebbar, begehbar und damit für mich zum ersten Mal umfassend begreiflich. Zuvor hatte und fand ich auch keinen Zugang zum inwendigen Körpergeschehen. Ich war zutiefst beeindruckt, dass ich mit meiner eigenen Bereitschaft, in völlig individuellem Tempo und Dosierung gemeinsam