Sich vom Schmerz befreien
mit dem Therapeuten die Eroberung meines Inneren erfahren konnte und dort meinen unterschiedlichen Verletzungen begegnen durfte, den durch Operationen geschädigten Bereichen genauso wie den durch Angst und Lebensgeschichte verursachten Verhärtungen meines Körpers.
Das faszinierende Gefühl der Ganzwerdung zu spüren, erlebte ich als höchst befreiend aus der Hilflosigkeit. Meinen gesamten Körper wieder in Besitz nehmen zu können, war eine nie mehr zu hoffen gewagte Bereicherung, ja ein Geschenk, und ermöglichte mir damit, den Ausstieg aus dem Abstieg einer chronischen Schmerzpatientin mit all dem Leid und den Folgeerkrankungen, die mit einem solchen Schicksal gekoppelt sind. Dieser Weg und die Behandlung haben mich oft zu erlösenden Tränen gebracht. Ich war wieder in der Lage zu handeln. Nun kann ich mein Leben mit dem neuen Körperwissen über mich und meine Funktionen wieder voller Freude und mit neuer Kraft ausfüllen.«
Der Belastungshintergrund dieser Patientin begann in der Kindheit mit extremen körperlichen und psychischen Erlebnissen und führte sie in der Zeit vor unserer Begegnung (sie war damals 46 Jahre alt) zu mehreren orthopädischen Operationen (u.a. Versteifung einiger Lendenwirbel). Ihr Leben bestand aus Schmerzen. Ihr wurde prognostiziert, sie werde wohl über kurz oder lang einen Rollstuhl benötigen. Daneben wurden andere Krankheiten verschiedener Organe und Körpersysteme diagnostiziert. Während unserer schmerztherapeutischen Zusammenarbeit erinnerte sie traumatischer Erlebnisse in ihrer Kindheit, körperliche und psychische Spannungen lösten sich. Daraus ergaben sich lange Gespräche, in denen sie sich und ihr Leben neu organisierte. Krankheiten und ihre Symptomatiken, die in den Bereichen Kardiologie und Immunologie diagnostiziert und behandelt werden, erfuhren positive Veränderungen. An einen Rollstuhl denkt heute, nach 10 Jahren, niemand mehr.
Die Methode ergibt sich aus dem Menschen
Jeder Mensch trägt sozusagen seine Methode in sich, und die Aufgabe des Therapeuten als Begleiter und Lehrer besteht darin, diese Methode mit ihm gemeinsam herauszufinden und zu entwickeln. Auf zwei Wegen kann er ihn dabei begleiten und ihm ermöglichen, unbewusste Spannungen »hinter« seinem Schmerzproblem wahrzunehmen und sie verändern zu lernen: dem verbalen und dem manuellen. Ãber die beschriebenen Zugänge bieten verbale Methoden hervorragende Möglichkeiten, seine eigenen Spannungen zu harmonisieren. Die Schwierigkeit besteht darin, dem Organismus überhaupt zu ermöglichen, an diese Spannungen heranzukommen und als Verhalten zu erleben, das verändert werden kann. Denn er befindet sich in einer Teufelsspirale aus Schmerz und Spannung, die ihn letztlich »blind« macht für alternatives Verhalten, vor allem weil der Schmerz die Spannung immer wieder auslöst und verstärkt (sensomotorische Amnesie). AusschlieÃliche Schmerztherapie über verbale Methoden ermöglicht erfahrungsgemäà oft nicht, an »tiefe« Muskelspannungen heranzukommen, geschweige denn, neue Wege anzulegen. Hierzu bedarf es der Unterstützung durch manuelle Kommunikation, also das direkte Gespräch mit dem unbewussten System.
Wie grundlegend die Spannungsprozesse sind, die manuell angesprochen und verändert werden, erahnt man aufgrund der Patientengeschichten, die ich in diesem Buch bisher erzählt habe. Bei Herrn M. bewegte sich nicht nur bezüglich seiner Schmerzen eine Menge, sondern auch auf anderen körperlichen Ebenen sowie psychisch. Seine emotionalen Reaktionen, also Prozesse des limbischen Systems (siehe Abb. S. 29), wurden erstmals ausgelöst und traten in sein Erleben, als ich manuell
mit unbewussten Muskelaktivitäten des »Reptiliengehirns« kommunizierte.
Vorangehende mechanische Therapien, Krankengymnastik, Massagen, Psychotherapie, wie er sie beispielsweise in der Klinik erlebt hatte, arbeiteten über bewusste Bewegungen und Gedanken der GroÃhirnrinde und wollten Schmerzursachen beseitigen. Dadurch wurde jedoch kein »unbewusster Lernprozess« in Gang gesetzt und keine langfristige Spannungsveränderung erzielt. Körperlich waren Schlafstörungen bei ihm ein Thema. Auch an das Spannungsverhalten hinter diesem Problem kommt ein Mensch selbst gewöhnlich nicht heran, und der Schlaf wird üblicherweise durch einen medikamentösen Eingriff von auÃen
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