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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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den Händen. Ein Gefühl, das er so noch nie gespürt hatte. Er wusste selbst nicht, was mit ihm vorging, doch es war auch jetzt nicht die Zeit, darüber nachzudenken.
    Tallwitz bemerkte, wie unter seinen Händen die Hitze entstand, als Rouvens Blick auf Tabitha fiel, die ihn noch immer entsetzt anschaute.
    Rouven schossen Tränen in die Augen. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah   – auf den Boden gedrückt, vor den Toiletten der Tafel, im Kampf mit einem Polizisten, während hinter ihm bewaffnete Männer auf seinen Körper zielten.
    Sie tat ihm leid, so verstört, wie sie dort an seiner Seite stand, hilflos dem Ganzen ausgeliefert. Und sofort schwand in Rouven der Kampfeswille. Er wollte dem ein Ende setzen. Er wollte Tabitha von diesem Anblick befreien. Und mit seinem Entschluss spürte er, wie die aufkommende Hitze in seinem Körper nachließ.
    Seine Hände wurden auf den Rücken gezerrt, und Rouven hörte Handschellen einrasten, bevor er ruckartig auf die Füße gehoben wurde.
    Er ließ alles mit sich geschehen. Schaute nur auf Tabitha. In ihre Augen.
    »Es tut mir leid«, rief er ihr zu. Und dann, an Mayers gewandt: »Bitte kümmern Sie sich um sie!«
    Doch Mayers blickte Rouven nur verständnislos an.
    »Kümmern Sie sich um sie!«, wiederholte Rouven, bevor er von hinten erneut gepackt und aus dem Flur geschleift wurde.
    Rouven verstand nicht. Er hatte sich doch ergeben. Warum kümmerte sich jetzt niemand um dieses Mädchen, das völlig in Tränen aufgelöst vor den Toilettentüren verharrte und die Welt nicht mehr verstand? Es musste sich doch jemand erbarmen und sich ihrer annehmen.
    »Entschuldige, Tabitha«, schrie Rouven ihr zu, bevor die Eingangstür ins Schloss fiel und sich in Rouvens Herz das Bild des bestürzten Mädchens tief einbrannte.

N un rede endlich!« Mayers spuckte Rouven seine Worte ins Gesicht, während er mit den Fäusten auf den Tisch hämmerte.
    Tallwitz stürmte aus der Ecke, in der er bisher das Verhör nur beobachtet hatte, heraus auf seinen Kollegen zu und packte ihn am Arm: »Beruhige dich. So kenne ich dich ja gar nicht.«
    Mayers fuhr herum, den Kopf noch immer rot vor Wut. »Seit über drei Stunden sitzen wir jetzt in diesem beschissenen Raum, und der Kerl kriegt die Klappe nicht auf. Wie soll man denn da seine Ruhe behalten? Glaubst du, die Menschen, die verschwunden sind, die behalten ihre Ruhe?«
    Tallwitz schob Mayers mit einiger Mühe auf den Stuhl in der Ecke, auf dem er selbst bisher gesessen hatte. »Lass mich mal«, bat er seinen Kollegen.
    Mayers atmete zischend aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Na dann viel Glück«, raunte er nur.
    Tallwitz setzte sich Rouven gegenüber, was diesen nicht zu interessieren schien. Wie zuvor bei Mayers blickte er nur auf die kalte Stahlplatte des Tisches.
    »So schwer kann das doch gar nicht sein.« Tallwitz sprach mit einer ruhigen, beinahe freundlichen Stimme zu Rouven. »Ich kann verstehen, dass du uns nicht alles sagen möchtest. Aber was kann denn falsch daran sein, uns einfach nur mal deinen Namen zu sagen?«
    Rouven schwieg.
    »Oder woher du kommst«, hakte Tallwitz nach, doch wieder ohne Erfolg. »Dein Alter? Oder die Schule, auf die du gegangen bist. Irgendetwas. Nur, dass ich mal deine Stimme höre. Du wirst sehen,wenn erst einmal der Anfang getan ist   … Wenn du angefangen hast, über alles zu sprechen, das kann hilfreich sein. Erleichternd. Ich bin ja für dich da.«
    Tatsächlich hob Rouven bei diesen Worten den Kopf, und zur Überraschung von Mayers und Tallwitz sprach er zum ersten Mal, seit sie diesen dunklen Verhörraum des Polizeipräsidiums betreten hatten: »Warum waren Sie nicht für sie da?«
    Tallwitz staunte. »Für sie? Für wen?«
    »Tabitha.«
    Tallwitz blickte zu Mayers, der ihm bedeutete, dass er auch kein Wort verstand. Dann wandte sich Tallwitz wieder Rouven zu: »Wer ist Tabitha?«
    »Das Mädchen, das mit mir bei der Tafel war.«
    »Du warst nicht allein dort?«
    Nun blickte Rouven erstaunt. »Sie müssen sie doch gesehen haben.«
    Tallwitz forschte in seiner Erinnerung nach. »Da waren die Gäste der Tafel, die Hilfskräfte, unsere Beamten   … Ein Mädchen, sagst du?«
    In Rouven erwachte die Wut. »Was für ein Spiel spielen Sie mit mir? Tabitha stand dabei, als Sie mich festgenommen haben. Direkt daneben. Sie musste alles mit ansehen. Und Sie haben sie einfach stehen lassen. Sie haben sie gar nicht beachtet. Ignoriert. Kein Wort haben Sie für Tabitha   …«
    Tallwitz

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