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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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dieser Rouven mich an der Nase herumführt oder tatsächlich so ahnungslos ist, wie er immer tut«, gab er noch von sich.
    Dann verschwand er in der Tür.

D ie heiße Tasse Tee in Rouvens Händen gab ihm ein Gefühl von Echtheit, von Realität. Sodass er sicher sein konnte, nicht etwa zu träumen. Es war schwer, all das zu glauben, was um ihn herum geschah.
    Mathida goss sich ebenfalls von dem Tee in eine ihrer Porzellan-Tassen, auf denen sich ähnliche Muster und Farben befanden wie auf ihrem Kleid. »Es tut so gut zu wissen, dass Tabitha hier bei uns ist«, sagte sie.
    Für Rouven war nun die Zeit gekommen, Fragen zu stellen. »Wie kommt es, dass ich Tabitha sehen und hören kann, und Sie nicht?«
    »Was ich dir nun erzähle, das muss in deinen Ohren völlig absurd klingen. Dennoch: Es heißt, dass es Welten gibt, die zwischen unseren Welten existieren.«
    »Sie meinen so etwas wie eine Geisterwelt?«
    »Bestimmt hast du schon einmal gehört, dass Menschen, die noch etwas unerledigt haben, nach ihrem Tod an unsere Welt gebunden bleiben. Sie verwandeln sich. Sie leben in einer Art Zwischenwelt, zwischen Tod und Leben. Sag ruhig Geister dazu, wenn es dir hilft. Diese Menschen leiden.«
    Rouven sah zu Tabitha, die neben ihm auf dem Sofa saß und aufmerksam zuhörte.
    »Für Tabitha trifft das zu«, sagte Rouven. »Sie leidet wirklich unter dieser furchtbaren Situation. Aber noch einmal: Warum kann ich sie sehen und andere nicht?«
    »Dafür gibt es nur eine Erklärung«, erwiderte Mathida. »Und sie wird dir nicht gefallen.«
    »So?« Rouven dachte nach. »Welche?«
    »Ahnst du es nicht?«
    Rouven wurde unruhig. »Es hat mit mir zu tun, oder?«
    Mathida griff nach seiner Hand. »Ganz sicher. Du kannst sie sehen, weil ihr Tod unmittelbar mit deinem Leben zusammenhängt.«
    Rouven zog seine Hand zurück. Mathidas Worte trafen ihn tief, auch wenn er so etwas bereits geahnt hatte. Er erhob sich von seinem Platz und ging zum Fenster. Im Hinterhof konnte er ein Mädchen beobachten, wie es mit einem riesigen Hund schmuste. Die ganze Szene wirkte so unbelastet. So sorgenfrei. Leben tauschen, schoss es Rouven in den Sinn. Seines gegen das des Mädchens. Dann wäre all das vorbei.
    Tabitha stellte sich an seine Seite. Von ihr ließ er seine Hand ergreifen. »Verstehst du, was das alles bedeuten könnte?«, fragte er sie.
    Ratlos schüttelte sie den Kopf. »Ich kann es mir nicht erklären«, sagte sie leise.
    Rouven wandte sich wieder Mathida zu. »Wie kann das sein? Ich kannte sie bisher nicht. Die Welt, in der sie groß geworden ist, ist mir völlig fremd. Ihr Haus hatte ich zuvor nie betreten. Und   …«
    Mathida brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Woher willst du das wissen?«
    Rouven entrüstete sich. »Woher ich das   …« Doch dann verstand er.
    Und Mathida sprach das aus, was Rouven durch den Kopf ging: »Du sagst selbst, dass du keine Erinnerung an deine Vergangenheit hast. Vielleicht habt ihr beiden euch richtig gut gekannt. Vielleicht schon lange Zeit.«
    Nun setzte sich Rouven schnell wieder auf seinen Platz. So unangenehm ihm diese Überlegung war, er musste Mathida recht geben. Er konnte sich der Dinge, die in seiner Vergangenheit lagen, nicht sicher sein.
    »Und deshalb«, fuhr Mathida fort, »ist es eine sehr gute Idee von Tabitha gewesen, hierherzukommen. Hypnose ist ein guter Weg, verdrängte Erinnerungen wach werden zu lassen. Was immer du frühererlebt hast   – mit Hypnose können wir dafür sorgen, dass du dich erinnerst.«
    Rouven nickte grüblerisch.
    Mathida fügte schnell hinzu: »Und je früher wir damit beginnen, desto besser ist es.«
    Auch da stimmte Rouven ihr zu. Dennoch löste der Gedanke in ihm Unbehagen aus. Zu groß war seine Unsicherheit, was sich in seiner Vergangenheit verbarg. Zu groß die Befürchtung, Dinge ans Tageslicht zu bringen, die er besser nicht wusste.
    »Sie glauben also wirklich, dass Tabithas Zustand und mein Leben miteinander   … wie soll ich sagen   … verbunden sind?«, hakte er noch einmal nach.
    »Ich denke schon«, antwortete Mathida. »Aber sicher bin ich mir natürlich nicht. Vielleicht gibt es auch eine ganz andere Erklärung für alles, was geschieht.«
    Rouven drängte sich eine andere Frage auf. »Wissen Sie mehr über diesen Unfall, der Tabitha zugestoßen ist?«
    Mathida lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Sie blickte auf eine leere Stelle an der Wand über der Sitzecke und dachte nach. »Eine merkwürdige Sache«, sagte sie

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