Sichelmond
wäre ich mit Mathidas Hilfe wohl in der Zeit zurückgereist? Wann hatte das alles wohl seinen Anfang genommen? Und wie?«
Tabitha dachte kurz über Rouvens Worte nach, dann fragte sie: »Gibt es denn eine Verbindung zwischen all den Zeiten? Etwas, das deine Bilder der Hypnose miteinander verknüpft?«
Wieder forschte Rouven in seiner Erinnerung. Er sah sich noch einmal vor der Schule mit dem eleganten Ehepaar an seiner Seite. Er sah sich an dem langen Tisch auf der Farm, mit Pflegeeltern und Kindern, von denen wahrscheinlich einige weitere ebenfalls Pflegekinder waren. Und er sah sich an Bord dieses Schiffes, neben dem Kapitän, der sich augenscheinlich um Rouven gekümmert hatte. Einst. Alles das sah er und …
»… ein Fenster.«
»Fenster?«
»Ein Kunstfenster«, antwortete Rouven, und mit einem Mal wurde ihm wieder bewusst, wie oft er dieses besondere Glas gesehen hatte. »Ein Fenster mit einem Bild darauf.«
»Wozu gehört dieses Fenster?«
Rouven strengte sich an. »Eine Bruchsteinmauer. Nein, eine Bruchsteinwand. Ein Gebäude. Ein …« Das Bild erschien in seiner Erinnerung. Er sah sich an der Schiffswand stehen und auf die Stadt blicken. »Eine Kapelle«, brachte er hervor. »Die kleine Kapelle am Hafen. Die Kapelle, die auf dem alten Friedhof steht.«
»Mathida hatte davon gesprochen«, antwortete Tabitha hastig. »Weißt du noch?«
Rouven wurde blass. »Ja. Ich weiß. Es ist der Ort, an dem ich … an dem du …«
Tabitha lenkte schnell ab. »Ich weiß auch, welches Bild du meinst. Es ist ein riesiges Fensterbild. Jahrhunderte alt und sehr kostbar. Es zeigt zwei Figuren, im Kampf miteinander.«
Endlich erwachte Rouven aus seinen Grübeleien. Zum ersten Mal seit ihrem Besuch bei Mathida erwachte in ihm wieder der Ehrgeiz. Ja geradezu: Kampfeslust.
»Wie gut kennst du das Bild?«, fragte er Tabitha, die mit den Schultern zuckte.
»Gut. Mehr oder weniger. Meine Eltern sind sehr oft mit mir dort gewesen. Sie haben sich um die Kapelle gekümmert. Ich habe schon als Kind dort gespielt. Als kleines Kind meistens in der Kapelle, doch später hatte ich mich mehr auf dem Friedhof aufgehalten, der rund um die Kapelle angelegt ist. Ich kenne beinahe alle Gräber dort. Oft hatte ich die Grabstellen von Büschen und Unkraut befreit, sodass ich die Kapelle wohl seit Jahren schon nicht mehr betreten habe.
Das Bild darin ist mir deshalb vertraut und dann auch wieder nicht. Du kennst das: Wenn man etwas immer und immer wieder zu sehen bekommt, dann verliert es seinen Reiz. Ich würde wetten, dass ich seit vielen Jahren nicht mehr draufgeschaut habe. Als kleines Kind noch, aber dann …« Sie stellte das Glas zur Seite. »Das Bild? Zwei Kämpfer unter freiem Himmel. Als Tiere dargestellt. Oder so ähnlich. Mehr weiß ich schon nicht mehr davon.«
»Lass uns dorthin gehen«, bat Rouven. »Diese Kapelle ist das Bindeglied, nach dem du mich gefragt hast. Das Fensterbild tauchte in allen Visionen der Hypnose auf. Durch alle Zeiten, in die mich Mathida geführt hatte.«
»Du willst jetzt dorthin?«, fragte Tabitha. »Es muss mitten in der Nacht sein.«
»Lass uns gehen«, bat Rouven, und Tabitha erfüllte ihm den Wunsch.
»Natürlich!«
Sie erhoben sich von ihren Plätzen, schauten wie auf ein gemeinsames Kommando nach der inzwischen schlafenden Großmutter, dann eilten sie hinaus.
Sie ahnten allerdings nicht, dass sie bereits erwartet wurden.
I ch werde mein Versprechen zurückziehen«, sagte Mayers und ließ erkennen, dass er fest entschlossen war.
»Dem Jungen gegenüber?«
Mayers leuchtete noch immer mit der Taschenlampe auf das Gesicht des Jungen auf dem Fensterbild. Seit Minuten hatte er den Blick nicht mehr davon abgewendet.
»Er ist das Bindeglied. Der Mittelpunkt des ganzen Falles. Wie wir es auch angehen, alles läuft stets auf ihn zu.«
»Und du willst ihn wieder in die Zelle bringen?«
»Entweder führt er uns an der Nase herum und spielt mit uns oder aber er selbst ist in Gefahr. Und egal, welche Variante die Wahrheit ist, besser ist es, wenn er bei uns im Gewahrsam ist.«
»Fahndung?«, fragte Tallwitz, und Mayers nickte. »Wir lassen ihn im Glauben, dass er weiterhin seine angeblichen Nachforschungen anstellen kann, doch insgeheim suchen wir unter Hochdruck nach ihm. Gleich morgen früh werden wir den Kollegen Bescheid geben. In der Stadt werden wir Leute postieren und auch im Stadtpark. Dort ist er gesehen worden.«
»Wir sollten die Straße nicht vergessen, in der sich
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