Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman
von der Polizei angehalten worden, denn unterwegs dachte ich nach, und dann blieb ich stehen - manchmal kommt man auf einen Gedanken, der so schwierig ist, daß man nicht weitergehen kann; man muß sich über etwas klarwerden. Ich blieb also stehen, und manchmal fuchtelte ich mit den Händen und sagte: »Die Entfernung zwischen dem und dem ist soundsoviel, und wenn sich das jetzt in diese Richtung bewegt...«
Ich fuchtelte mit den Händen, mitten auf der Straße, und dann kam die Polizei: »Wie heißen Sie? Wo wohnen Sie? Was treiben Sie hier?«
»Och! Ich habe nachgedacht. Tut mir leid; ich wohne hier und gehe oft in das Restaurant...« Nach einer Weile kannten sie mich und ließen mich in Ruhe.
Ich ging also in das Restaurant, und während ich esse, bin ich so aufgeregt, daß ich einer Dame erzähle, daß ich gerade eine Entdeckung gemacht habe. Sie legt los: Daß sie mit einem Feuerwehrmann verheiratet sei oder mit einem Förster oder sonst jemand; daß sie sich so einsam fühle - all dieses Zeug, das mich nicht interessiert. Sowas kommt vor.
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit kam, ging ich zu Wapstra, Boehm und Jensen und erzählte ihnen: »Ich hab' alles ausgearbeitet. Es haut alles hin.«
Christy, der auch da war, fragte: »Was für eine Konstante des Beta-Zerfalls haben Sie verwendet?«
»Die aus dem Buch von Soundso.«
»Aber es ist doch erwiesen, daß die falsch ist. Neuere Messungen haben ergeben, daß sie um 7 Prozent danebenliegt.«
Da fallen mir die 9 Prozent wieder ein. Es war wie eine Offenbarung für mich: Ich war nach Hause gegangen und hatte diese Theorie ausgearbeitet, wonach es beim Neutronenzerfall eine Unsicherheit von 9 Prozent geben mußte, und am nächsten Morgen erzählen sie mir, daß sich die Konstante eigentlich um 7 Prozent verändert hat. Aber hat sie sich von 9 auf 16 verändert, was schlecht ist, oder von 9 auf 2, was gut ist?
Da ruft meine Schwester aus New York an: »Was ist mit den 9 Prozent - was hat sich da getan?«
»Ich habe gerade entdeckt, daß neue Daten vorliegen: Es geht um 7 Prozent...«
»Mehr oder weniger?«
»Das versuche ich gerade rauszukriegen. Ich rufe dich zurück.«
Ich war so aufgeregt, daß ich nicht klar denken konnte. Das ist so, wie wenn man sich beeilt, um ein Flugzeug zu erwischen, und nicht weiß, ob man zu spät dran ist oder nicht, und man schafft es nicht, und dann sagt jemand: »Es ist doch Sommerzeit!« Ja, aber muß man nun Zeit anzurechnen oder abziehen ? In der Aufregung kann man nicht klar denken.
Christy ging in ein Zimmer, und ich ging in ein anderes, damit wir Ruhe hatten, so daß wir es durchdenken konnten: Dies bewegt sich in diese Richtung, und das bewegt sich in jene Richtung - es war eigentlich nicht schwer; es war bloß aufregend.
Christy kam heraus und ich kam heraus, und wir stimmten beide überein: es sind 2 Prozent, was durchaus innerhalb der Fehlerquote bei Experimenten liegt. Wenn sie die Konstante gerade um 7 Prozent verändert hatten, konnten die 2 Prozent schließlich auch ein Fehler gewesen sein. Ich rief meine Schwester zurück: »Zwei Prozent.« Die Theorie stimmte.
(Tatsächlich war sie falsch: Die Unsicherheit lag in Wirklichkeit bei l Prozent, und zwar aus einem Grund, den wir nicht berücksichtigt hatten und der erst später von Nicola Cabibbo verstanden wurde. Die 2 Prozent gingen also nicht auf das Experiment zurück.)
Murray Gell-Mann und ich verglichen und kombinierten unsere Ideen und schrieben einen Aufsatz über die Theorie. Die Theorie war recht gelungen; sie war relativ einfach und paßte zu einer Menge Sachen. Aber wie ich schon sagte, gab es furchtbar viele chaotische Daten. Und in einigen Fällen gingen wir sogar so weit zu behaupten, daß die Experimente fehlerhaft seien.
Ein gutes Beispiel dafür war ein Experiment von Valentine Telegdi, bei dem er die Anzahl der Elektronen maß, die in alle Richtungen ausgestrahlt werden, wenn ein Neutron zerfällt. Unsere Theorie hatte vorausgesagt, daß die Anzahl in allen Richtungen gleich sein müsse, wohingegen Telegdi fand, daß in einer Richtung 11 Prozent mehr herauskamen als in den anderen. Telegdi war ein hervorragender Experimentalphysiker und sehr gewissenhaft. Und als er einmal irgendwo einen Vortrag hielt, bezog er sich auf unsere Theorie und sagte: »Das Ärgerliche bei den Theoretikern ist, daß sie nie die Experimente beachten.«
Telegdi schrieb uns auch einen Brief, der zwar nicht gerade vernichtend war, aber nichtsdestoweniger
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