Sie fielen vom Himmel
Italien würde wieder frei sein … von den Deutschen und von den Amerikanern … dann würde sie ihre Lire mit dem irdenen Topf ausgraben und den Hof neu streichen lassen … die Zimmer, die Ställe, die Zäune. Und neue Schafe würde sie kaufen, für die Milch, den Schafkäse, die Wolle und das Fleisch der so süßen Osterlämmchen.
Donna Rachele war eine gute Rechnerin und plante auf weite Sicht. Seit Ermanno Cantile, ihr Mann, an einer Lungenentzündung gestorben war – er hatte sie sich geholt, als er nach einem Marktfreitag den halben Erlös seiner Waren in einer Osteria gelassen hatte und bis zum nächsten Morgen betrunken in einem feuchten Straßengraben lag –, führte Donna Rachele Cantile den Hof mit einer Umsicht, die geboren war aus den Erfahrungen mit dem seligen Ermanno. Dona Rachele fragte und sagte nicht viel, als Maria Armenata und Felix Strathmann steif, durchgefroren und halb verhungert von dem Muli kletterten und in die große, warme Stube hinter dem Garten schwankten. Sie führte erst einmal das Muli in den Stall. Denn Tiere sind hilfloser als Menschen und brauchen deshalb mehr Aufmerksamkeit, war ihre feste Ansicht. Dann kochte sie einen Tee und setzte sich den beiden mit fragenden Augen gegenüber. »Un Tedesco?« sagte sie nach einer Weile.
Maria nickte müde. »Si, mia zia.«
»Soldato?«
»Si.«
»Ferito?«
»No.«
Donna Rachele wußte genug. Ein deutscher Soldat, nicht verwundet und doch mit Maria bei ihr, in Frauenkleidern zudem, unrasiert, verhungert, auf einem Muli, das umfiel vor Erschöpfung. Sie schüttelte den Kopf. Welche Dummheit! Madonna, welcher Leichtsinn! Mitten durch die deutschen Truppen, die sie erschossen hätten, wenn sie aufgefallen wären. Einfach erschossen! Donna Rachele kannte es … sie hatte gesehen, wie man in den Abruzzen vier Partisanen gegen einen Felsen stellte und niederschoß. Und in Tagliacozzo hatte man sieben Männer und eine Frau mit einem Schild vor der Brust aufgehängt: »So ergeht es allen Partisanen!« Madonna mia – welcher Leichtsinn von den Kindern!
Sie ging den beiden voraus und zeigte ihnen zwei Kammern. »Schlaft erst einmal«, sagte sie zu Maria.
»Und wenn die Deutschen kommen?« Marias Stimme war voll Angst.
Donna Rachele winkte ab. »Sie waren schon hier. Sie wissen, daß ich eine alte Frau bin. Das ist uninteressant für sie. Wenn sie kommen, verbergt ihr euch im Heu.« Sie blickte Felix Strathmann nach, der in sein Zimmer schwankte, ausgehöhlt, am Ende seiner physischen Kraft, gleichgültig gegen alles, was kommen würde in diesen Stunden, und wenn es ein Kommando wäre, das ihn an die Wand stellen und als Deserteur erschießen würde.
»Du liebst ihn?« fragte Donna Rachele.
»Ja, Tante.«
»Du willst ihn heiraten? Nach dem Krieg?«
»Wir sind schon verheiratet. Nur der Segen des Priesters fehlt noch!«
Donna Rachele hüstelte und blickte an Maria hinunter. Das freimütige Geständnis ihrer Nichte griff an ihr streng sittsames Herz.
»Du weißt, daß es Sünde ist, Maria?«
»Im Kriege nicht. Im Kriege haben die Menschen keine Zeit, auf Gottes Segen zu warten, damit aus der Natur keine Sünde wird. Ich brauche Felice wie ein Tier das Wasser zum Trinken.«
»Felice heißt er?« Donna Rachele sah, wie sich Strathmann auf das Bett warf, die Arme und Beine von sich streckte und kaum, daß er lag, schon einschlief mit tiefen, erschöpften Atemzügen.
»Ist er so glücklich wie sein Name?«
»In meinen Armen ja.«
Donna Rachele wandte sich ab und ging hinunter in die Küche. Diese Mädchen, grübelte sie. Diese modernen Mädchen. Sie sprechen über die Liebe wie über eine Schüssel Spaghetti, und die Heiligkeit der Vereinigung ist ihnen wie ein Glas Wasser, das man durstig hinunterstürzt. Macht das der Krieg aus ihnen? Oder sind sie alle so?
Sie hörte nach oben, zur Decke. Über der Küche lag das Zimmer, das sie Maria gegeben hatte. Sie vernahm keinen Laut, keinen Tritt, kein Knarren des Bettes. Man hätte ein wenig hören müssen, wenn sie in ihrem Zimmer war. Donna Rachele seufzte. Sie ist in das Zimmer des Deutschen gegangen. Sie liegen zusammen im Bett, wie Mann und Frau. Unter meinem Dach, in dem nie die Sünde wohnte. O dieser Krieg. Dieser Krieg!
Sie kochte eine kräftige Suppe, mit viel Fleisch und verschiedenen Gemüsen. Als sie die Tür des Zimmers aufstieß, trat sie leise ein und setzte die dampfende Terrine, zwei Teller und zwei Löffel auf ein Tischchen nahe dem Fenster. Über die Terrine deckte
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