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Sie fielen vom Himmel

Sie fielen vom Himmel

Titel: Sie fielen vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Breyle?«
    Der Major ruckte hoch. »Nein, Herr Oberst. Ich wollte es, ich habe es mir abgerungen, und ich habe den Brief wieder zerrissen. Er war so leer, so hilflos, so peinlich deprimierend in seinem Pathos.« Er hob hilflos die Arme. »Ich kann es nicht …«
    Hans Stucken sah an die Decke. Es war eine weißgetünchte Fachwerkdecke … der Putz blätterte ab und gab das Flechtwerk aus Weiden und Lehm frei. »Soll ich es für Sie tun?«
    Von der Breyle schüttelte langsam den Kopf. »Ich hätte Sie längst darum gebeten, Herr Oberst. Meinen gehorsamsten Dank für Ihr Angebot.« Er versuchte eine knappe, kasinomäßige Verbeugung, aber sie mißlang. »Ich kenne meine Frau«, fuhr er leise fort. »Ich weiß, wie sie an dem einzigen Jungen hängt. Unser einziges Kind, Herr Oberst. Wir haben ihn großgezogen wie einen Prinzen. Vielleicht war das ein Fehler. Aber Sie kannten ja nicht unsere Freude … nach 10 Jahren Ehe ein Kind! Dazu noch ein Junge! ›Das ist mein Kronprinz‹, habe ich immer gesagt, wenn Jürgen mich im Kasino besuchte und ich ihn den anderen Herren vorstellte. Ich war so stolz auf ihn. Das Gymnasium besuchte er mit einer Leichtigkeit, die verblüffte. Das Abitur machte er mit ›Sehr gut‹. ›Ein sehr kritischer Geist, Ihr Sohn‹, sagte der Direktor zu mir. ›Mein bester Abiturient seit fast 10 Jahren!‹ Dann kam der Krieg, die Kriegsschule … er machte alle Prüfungen mit Auszeichnung. Ich sagte es Ihnen schon, Herr Oberst. Ich hatte große Pläne mit ihm. Generalstab, vielleicht die diplomatische Laufbahn. Und nun dies –«
    Hans Stucken legte von der Breyle kameradschaftlich den Arm um die Schulter. »Sie teilen Ihr Leid mit vielen Vätern, Breyle. Mit Tausenden Vätern. Jede Stunde, jede Minute fallen Söhne … auch in den Minuten, in denen wir hier sprechen. Wir können es nicht ändern. Wir können es nur ertragen.«
    »Ich weiß, Herr Oberst. Es mag für mich ein Trost sein – aber für meine Frau?! Soll ich ihr sagen, daß sie das Leid von Millionen Müttern dieser Erde trägt? Daß neben ihr, im Nebenhaus, auch eine Mutter weint? Sie wird mich nicht verstehen, Herr Oberst. Welche Mutter versteht das überhaupt? Für sie ist der eigene Sohn die ganze Welt, und diese Welt hat man ihr genommen. Es gibt nichts Trostloseres als den Schmerz der Mütter.«
    Oberst Stucken wandte sich ab. Er konnte nicht mehr in die Augen Breyles sehen, ohne seine Haltung zu verlieren, die er mühsam aufrechterhielt. »Wir Menschen stehen jeder einmal an der Grenze des Schmerzes und glauben, es gehe nicht mehr weiter. Dann kommt ein neuer Tag, eine neue Sonne, ein neuer Wind, ein neuer Regen … das Leben geht weiter. Ja, es geht weiter, es muß weitergehen … und wir lernen es einsehen, und wir fügen uns dem Gesetz göttlicher Bestimmung, auf Erden zu sein und zu erleben, was uns das Leben bringt! Es ist die Tragik des Menschen, mit Bewußtsein zu leiden.« Stucken schob die Hände in die Taschen, sie waren ihm im Wege. Außerdem zitterten sie, und Breyle sollte es nicht sehen. »Sie kennen die Bestimmungen, Breyle«, sagte er rauh. »Wir müssen die Angehörigen benachrichtigen innerhalb –«
    Major von der Breyle hob die Hände. Stucken schwieg ergriffen.
    »Ich weiß, Herr Oberst, ich weiß.« Er nestelte an seiner Brusttasche herum und warf ein zerknittertes Kuvert auf den Tisch. »Hier ist der Brief von Jürgens Regimentschef. Er gab ihn an mich weiter, damit ich ihn meinem Schreiben beifüge. Ich habe ihn nicht gelesen … ich habe Angst zu lesen, was da über meinen Jungen geschrieben steht … Fürs Vaterland, für Großdeutschland, für die Ehre der Nation, für das ewige Leben des deutschen Volkes, für den Führer …« Breyle schluckte und griff sich an den Hals, als ersticke er. »Das steht da alles drin, Herr Oberst. In schönen Worten, in heroischen Worten, in Worten von Schillerscher Pathetik. Dieser ganze verlogene Kram, diese Heuchelei, diese Gemeinheit vor dem Gewissen!«
    Oberst Stucken sah gegen die Wand vor sich. Er stand nahe vor ihr, so nahe, wie es sonst nur üblich ist bei Liquidationen durch Genickschuß. Und er empfand es auch so … die Worte Breyles hämmerten gegen seinen Rücken wie die Garbe eines Exekutionskommandos. Er hob schaudernd die Schultern. Er fror. »Können wir es ändern, Breyle? Kann ich es? Können Sie es? Wir drehen uns im Kreis mit unserem Aufschrei der Moralität. Wir sind Rufer in einer Wüste, die unsere Stimme aufsaugt, als habe sie gar nicht

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