Sie fielen vom Himmel
Hände. So trug man sie aus dem Lager, den Berg hinab ins Tal. Nach zwei Stunden standen sie vor dem Haus, in dem Doktor Pahlberg noch immer operierte. Lastwagen mit dem roten Kreuz an allen Seiten verluden das Lazarett, am Stadtrand von Eboli spritzten krachende Erdfontänen empor. Die Artillerie der 5. Armee betrommelte die deutschen Stellungen.
Die Träger hatten gewechselt. Bernatti stand jetzt vorn und schob sich durch das Gewimmel der deutschen Soldaten hindurch zu dem Haus mit der wehenden Lazarettfahne. Vor der wimmernden Frau bildete sich eine Gasse, mit gesenktem Kopf schritt Bernatti sie entlang. 100.000 Lire, dachte er. Wenn sie mich erkennen, schießen sie mich ab. Sie kennen keine Gnade, diese Barbaren, sie sind Teufel. Er schielte unter den buschigen Augenbrauen hervor auf die Soldaten. Tarnanzüge, runde Helme, kantige, verdreckte, ausgemergelte Gesichter. Fallschirmjäger. Bernatti biß die Zähne aufeinander. Aber er ging weiter, wie eine Maschine setzte er die dicken Beine vor sich. In seinen Händen schaukelte er die Trage mit der wimmernden Gina.
Aus dem Haus stürzte Krankowski. Er sah die Italiener und rannte ihnen entgegen. »Was wollt ihr hier?!« schrie er. »Verwundet?!« Dann erblickte er die Frau, sah ihren hohen Leib unter der dünnen Decke, ihr bleiches, schweißüberströmtes Gesicht und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Kreuzdonnerwetter! Auch das noch!« sagte er leise. Er rannte zurück in das Haus und hörte, wie die schweren Bauernstiefel der Italiener durch den Flur schlurften.
Stabsarzt Dr. Pahlberg hatte die Gummischürze abgebunden und wusch sich die Hände. Der letzte Verwundete war versorgt – die neuen Transporte wurden bereits weitergeleitet zu anderen Sammelstellen. In dem provisorischen OP räumten die Sanis Gustav Drage und August Humpmeier bereits die Instrumente in die Kisten und klappten den transportablen leichten Operationstisch zusammen. Der Abbau mußte schnell gehen, in drei Stunden stand die letzte Lazarettgruppe marschbereit und verließ den Bogen, der im Verlauf der Frontverkürzung zurückgenommen wurde.
Unteroffizier Krankowski riß die Tür des OP auf und trat Gustav Drage in den Hintern, der gerade den Operationstisch zusammenklappte. »Stehenlassen!« sagte er laut.
Dr. Pahlberg drehte sich um. »Nanu, Krankowski?! Noch eine Einlieferung?« Er unterbrach das Waschen und kam mit tropfenden Händen näher.
Krankowskis Blick war verschleiert. »Eine Geburt, Herr Stabsarzt …«
»Was?!«
In diesem Augenblick betraten Bernatti und Dragomare das Zimmer. Ihre Bahre schwankte, weil Gina aufschrie und mit den Händen um sich schlug. Das Gesicht Marios zuckte … er weinte wieder und schämte sich, es vor den Deutschen zu tun. An der Tür stand Krankowski und keuchte. »Das erste Kind, signore dottore«, sagte Bernatti dumpf. Er sah die Blutflecken an Pahlbergs weißem Kittel und blickte zur Seite. Übelkeit würgte ihm in der Kehle. »Es will nicht kommen«, stöhnte er. »Seit neun Stunden, signore dottore …«
August Humpmeier hatte den OP-Tisch bereits wieder aufgeklappt. Gustav Drage legte weiße Tücher darüber und suchte nach den Riemen, die er durch die Laschen des Tisches zog. Krankowskis Gesicht war weiß … er sah auf die wimmernde Gina und spürte, wie sich die Innenflächen seiner Hände mit kaltem Schweiß bedeckten.
Dr. Pahlberg kniete neben der Bahre und schlug die Decke zurück. Der pralle, hochgewölbte, von blauen Äderchen überzogene Leib Ginas stieß ihm entgegen. Die Haut war schweißnaß und gespannt wie ein Trommelfell. Ein Zucken lief durch den Körper, ehe die Wehe einsetzte. Dann schrie Gina wieder auf, ihre Beine trommelten auf den harten Rost der Pritsche, und ihre Finger zerrissen die Decke, wo sie sie greifen konnten. Dr. Pahlberg war kein Gynäkologe, nur kurz war er als Kliniker in der Geburtsabteilung gewesen, als junger Assistenzarzt, bevor er sich als Chirurg spezialisierte. Er erinnerte sich der Fälle von Steißlage, von Drehungen des Kindes durch den Arzt, der sogenannten Hickschen Wendung, von hoher Zange. Wortlos griff er nach hinten. Gustav Drage hielt ihm die sterilen Handschuhe hin. Er streifte sich einen über die rechte Hand und tastete den Leib Ginas ab. Sie stöhnte bei der manuellen Untersuchung auf und umklammerte das Holz der Bahre. Vorsichtig tasteten sich die Finger Dr. Pahlbergs weiter … er fühlte den Kopf des Kindes, hinter dem markstückgroßen Muttermund war er festgeklemmt.
»Das
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