Sie fielen vom Himmel
Becken ist zu eng«, sagte er. Er sah in das weiße Gesicht Ginas und dann auf seine Hände. Es gab keine andere Wahl, er wußte es. Es gab keine Illusionen mehr, kein Warten, kein Hoffen … »Kaiserschnitt!« sagte er laut.
»Hier?!« Krankowski zitterte am ganzen Leib. »Ohne Zange, ohne …« Er schwieg.
Dr. Pahlberg richtete sich auf. »Ich habe meine Hände. Ist das nicht genug?!«
»Ja, Herr Stabsarzt. Jawohl … jawohl …« Krankowski sah zu den beiden anderen Sanitätern, die neben dem Operationstisch standen.
Dr. Pahlberg rannte an das Waschbecken und schrubbte sich die Hände und Arme. »Äthertropf-Narkose!« rief er über den Rücken hinweg. »Was anderes haben wir ja nicht! Machen Sie schnell, Krankowski!«
»Jawohl …« Die Stimme des Unteroffiziers brach ab. Doktor Pahlberg drehte sich um. Der Sanitäter stand wachsbleich hinter ihm, über sein Gesicht lief kalter Schweiß. »Was haben Sie, Krankowski?« Dr. Pahlberg starrte in das verzerrte Gesicht.
Krankowski schloß die flackernden Augen. »Meine Frau ist bei einer Geburt gestorben, Herr Stabsarzt. Beim dritten Kind … Aortenriß … Sie war völlig ausgeblutet, als ich sie sah …«
Pahlberg fuhr in die Gummihandschuhe, die ihm Gustav Drage reichte. Humpmeier band ihm die Gummischürze um. »Gehen Sie hinaus, Krankowski«, sagte er leise. »Schnappen Sie frische Luft. Ich werde es schon allein machen …«
»Nein, Herr Stabsarzt, ich bleibe hier.«
»Sie fallen mir um, Krankowski.«
»Nein!« Der Unteroffizier wischte sich mit beiden Händen über das nasse Gesicht. »Ich halte durch, Herr Stabsarzt. Ich mache nicht schlapp. Es ist nur die Erinnerung … die gleiche Situation … dieses Wimmern und Stöhnen …« Er sah Pahlberg wie ein verwundetes Tier an. »Ich habe sie sehr liebgehabt, Herr Stabsarzt …«
Auf dem Operationstisch lag Gina. Bernatti und Dragomare hatten sie aufgehoben, jetzt wurden sie von Gustav Drage aus dem Zimmer geschoben. Mario blieb an der Tür stehen, einen Augenblick nur, und sah zurück auf Gina. Sie lag nackt auf den weißen Tüchern und wurde von Humpmeier angeschnallt. Ihr hoher Leib war unförmig gegenüber der zarten Brust und dem kleinen, fast kindlichen Gesicht. Über das Ende des Tisches hingen ihre langen Haare hinab, eine Flut von Locken, in denen er spielte, wenn sie nebeneinander lagen und glücklich waren, und in denen er sein Gesicht vergrub, wenn sie sich gehörten und ihre Herzen gegeneinanderschlugen. »Ginissima«, stammelte er. »Bella Ginissima …« Er schlug das Kreuz und faltete die Hände. So drückte ihn Gustav Drage aus dem Raum und schlug hinter ihm die Tür zu.
Dr. Pahlberg trat an den Tisch. Krankowski narkotisierte … er brauchte nur wenige Tropfen, um die in stundenlangem Kampf ermüdete Gina von den Schmerzen zu erlösen. Humpmeier hatte mit einem Wattebausch bereits den Leib mit Jodtinktur eingerieben … ockerfarben schrie Pahlberg der große Fleck entgegen, in den er einschneiden mußte. Nur oberhalb des Operationsgebietes war der Körper Ginas abgedeckt … der ganze Leib war frei. Die Abdecktücher, die kleinen, viereckigen Mulltücher, die man ›Felder‹ nannte, ratterten bereits mit den ersten Wagen der abrückenden Kolonne nach Norden. Nur das Notwendigste war noch vorhanden, um den Betrieb bis zuletzt nicht einschlafen zu lassen.
»Alles in Ordnung?« Dr. Pahlberg sah zu Krankowski hinüber, der neben dem Kopf Ginas auf einem Hocker saß. Er hatte einen Mundspreizer angelegt und die Zunge Ginas aus dem Mund gezogen, damit sie nicht in den Gaumen zurückfiel und die Narkotisierte erstickte. »In Ordnung, Herr Stabsarzt.«
Pahlberg nahm das Skalpell. Er setzte es auf die gelbbraune Haut, ohne zu zögern, mit einer Sicherheit, als arbeite er nicht unter improvisierten Verhältnissen. Dann glitt das Skalpell vom Nabel hinab und schlitzte die Bauchdecke auf. Ein paar Blutstropfen quollen hervor, eine dünne Schicht weißgelben Fettes schob sich an den Schnitträndern herum. Das Skalpell durchtrennte sie, rosig trat die Aponeurose hervor. Auch sie wurde mit dem Messer gespalten, schnell, in einem Zug. Doktor Pahlberg griff nach hinten.
Eine Schere lag zwischen seinen Fingern. Gustav Drage hatte sie ihm gereicht, der stille, wortkarge Sani. Pahlberg lächelte. Seine Sanis … er hatte sie in den dienstfreien Stunden zu sich auf das Zimmer genommen und ihnen Vorträge gehalten, anatomische, chirurgische, Instrumentenkunde, Anästhesie. Jetzt arbeiteten sie wie alte
Weitere Kostenlose Bücher