Sie fielen vom Himmel
Gustav Drage an, der Tupfer anreichte und Aderklemmen. Klatschend trommelte Humpmeiers Hand … er strahlte über das ganze Gesicht. Wie zu Hause, dachte er. Vier Kinder habe ich, bei allen war ich dabei und habe sie angenommen. Ich weiß, wie man das macht, ich weiß, wie man sie zum Schreien bekommt, damit die Brust sich wölbt und die Lungen zum erstenmal arbeiten. Das Kind atmete auf. Die kleinen dicken Arme stießen nach vorn. Ein Quäken erfüllte plötzlich die Stille des Raumes, dann ein kräftiges Schreien.
Humpmeier drückte das Kind an sich. »Ein Mädchen, Herr Dr. Pahlberg!« sagte er glücklich.
Dr. Pahlberg arbeitete weiter. Er räumte die Placenta aus, er reinigte die Bauchhöhle von Blut; Krankowski, aus seiner seelischen Verkrampfung gerissen, gab Sulfonamid, prophylaktisch gegen eine Bauchfellentzündung. Alles geschah jetzt schulmäßig, wie nach einem Lehrbuch der Chirurgie, exakt, schnell, gründlich und lautlos. Nur einmal sah Dr. Pahlberg auf, als Krankowski den Puls angab.
»Wir müssen ihr eine Kochsalzinfusion geben«, sagte er. »Der Blutverlust hat sie sehr geschwächt …« Er hob die Schultern und wandte sich wieder der Schließung der Bauchhöhle zu. »Selbst das haben wir nicht mehr hier …«
Als er den äußeren, langen Bauchdeckenschnitt vernäht hatte, trat er vom Operationstisch zurück und überließ es Krankowski und Drage, Gina zu verbinden und mit dicken Zellstofflagen zwischen den Schenkeln auf ein fahrbares Bett zu legen. Das letzte fahrbare Bett des Lazarettes, das man wieder zusammenbaute, während Pahlberg operierte. Er stand am Waschbecken, als Humpmeier das Neugeborene wickelte. Humpmeier tat es mit Liebe … er dachte dabei an seine vier Kinder und überwand den übermächtigen Drang, das schmale, von schwarzen Haaren umrahmte Gesichtchen des Kindes immer wieder zu küssen. »Es ist ein Wunder«, murmelte er, während er zwei Abdecktücher als Windeln verwendete. »Es ist ein Wunder.« Da fiel ihm ein, daß Krieg war und draußen die 5. Armee gegen Eboli vorrückte. Das erschütterte ihn mehr als die Geburt, und er begann, das Kind zu bedauern.
Draußen, auf dem Flur vor der Tür des Operationszimmers, hockten Bernatti und Dragomare an der Wand und starrten mit verhaltenem Atem auf die Tür. Dragomare murmelte noch immer sein Gebet, in sich versunken, den Kopf auf die gefalteten Hände gelegt. Bernatti rauchte hastig eine selbstgedrehte Zigarette. Sein fleischiges Gesicht war zerfurcht … ab und zu beugte er sich vor und hielt den Atem an. Aber er hörte nichts aus dem Zimmer. Nur das Murmeln Dragomares hing eintönig in der Stille.
Sie wird sterben, dachte er. Bestimmt wird sie sterben. Auch der Deutsche kann sie nicht retten! Auch er ist nur ein Mensch. Er atmete tief auf.
Hinter der Tür ertönte leichtes Quäken. Dann schrie etwas, dünn, heiser, langgezogen. Bernatti riß Dragomare an der Schulter empor.
»Das Kind!« stammelte er. »Mario … das Kind …« Das Schreien klang durch die Tür, der erste, laute Schrei des Lebens. Da fiel Dragomare auf die Knie, über sein Gesicht rannen die Tränen, er riß die gefalteten Hände empor und hielt sie hoch, zur Decke und über die Decke hinaus zum Himmel. »Maria!« schrie er. »Madonna mia … O Madonna …«
In der Tür erschien Humpmeier. Sein Gesicht strahlte. »Eine Bambina!« rief er fröhlich. »Und der Mutter geht es gut!« Er warf die Tür zu und sah nicht mehr, daß sich auch Bernatti zur Wand drehte und schluchzte.
Zur gleichen Stunde sagte Oberst Stucken zu Major von der Breyle:
»So geht das nicht mehr weiter! Die Partisanen nehmen überhand. Ich werde ein Partisanenkommando zusammenstellen und rücksichtslos zuschlagen!« Seine Hand fuhr über die Karte und bezeichnete die Gebiete, die er meinte. »Breyle, ich würde mich freuen, wenn Sie diese Aufgabe übernehmen würden.«
In der Nacht wurde Emilio Bernatti erschossen, als er allein zurück in die Monti Picentini schlich.
Das Versprechen Bernattis, Maria Armenata dürfe Felix Strathmann wiedersehen, wenn der deutsche Arzt Gina rettete, wurde nicht eingelöst. Nicht allein der Tod Bernattis hinderte Maria daran, sondern das ständige Vorrücken der Amerikaner und Briten und die Zurücknahme der deutschen Truppen auf eine neue, taktische Linie, einem Graben- und Bunkersystem, das sich nördlich von Neapel, von Minturno am Tyrrhenischen Meer bis zur Adria bei Ortona erstreckte – die Reinhard-Linie und die Gustav-Stellung. Als Riegel auf
Weitere Kostenlose Bücher