Sie fielen vom Himmel
nächste Woche vielleicht in Cassino, in der schon sagenhaften Reinhard- und Gustav-Stellung. Wer wußte es, wie schnell die Amerikaner vorrückten, wie lange die deutschen Riegel hielten, diese zusammengeschrumpften, müden, ausgebluteten deutschen Kompanien. Er ging aus dem Zimmer. Als er sich an der Tür noch einmal umdrehte, sah er, wie ihm Gina zuwinkte. Ihre kraftlose Hand pendelte durch die Luft … addio …
Er stieg vor dem Haus in seinen Kübelwagen mit dem roten Kreuz auf der Kühlerhaube. Krankowski saß hinter dem Lenkrad … Drage und Humpmeier, der sich mit Gewalt von dem Säugling reißen mußte und wegging, als ließe er das eigene Kind zurück, waren mit dem letzten Sankra schon vorausgefahren.
»Erlauben Sie mir ein Wort, Herr Stabsarzt?« fragte Krankowski düster.
»Bitte.«
»Scheiße!«
»Sie sprechen mir aus der Seele!« Dr. Pahlberg sprang in den kleinen Wagen. »Und fahren Sie, Krankowski! Fahren Sie wie der Teufel! Wenn wir schon flüchten müssen, dann wollen wir's richtig tun …«
Als sie die Straße hinunterpolterten, wurden sie von Artillerie beschossen.
Mitte September war die 5. Armee durchgebrochen, im Laufe des Monats gingen die deutschen Truppen nach Norden kämpfend zurück, im Oktober begann es zu regnen. Es war kein Regen mehr, es war eine Sintflut, die aus dem Grau des Himmels stürzte. Die Straßen ersoffen, die Felder waren ein riesiger, lehmiger Sumpf, in denen die Panzer steckenblieben. 5. Armee, am 1. Oktober als Sieger in Neapel eingezogen – Theo Klein fluchte an diesem Tag zehn Stunden lang und schrie: »Jetzt kassieren die Amis mein Lireguthaben im Puff!« – und am 9. Oktober sich zum Angriff auf die letzten deutschen Stellungen am Volturno massierend, ging unter in Schlamm und Lehm. Wie in Rußland bei der sowjetischen Armee kämpfte dieses Mal auf seiten der Deutschen der ›General Schlamm‹ und erstickte die Bewegungen der Landungstruppen. Nur Tedders Luftflotte tummelte sich am Himmel und erschwerte mit Bombenteppichen das Zurückgehen der 10. Armee Kesselrings.
Die 3. Kompanie marschierte in Richtung Cassino. Hauptmann Gottschalk war dieses Mal einer der letzten, während Leutnant Weimann die Kompanie anführte. Er hatte sich mit seinem Kübelwagen hinter die Gruppe Maaßen gehängt, die merkwürdigerweise geschlossen die Nachhut bildete. Das hatte einen tieferen Sinn, grübelte Gottschalk. Er brauchte nur Heinrich Küppers oder den halbwegs wieder gehfähigen Müller 17 anzusehen, um zu wissen, daß der Rückzug der 3. Kompanie nicht so klanglos vonstatten gehen würde, wie es von der Division gewünscht wurde. Theo Klein vollends befand sich in einer Stimmung, die mit ›mies‹ schon gar nicht mehr zu bezeichnen war. Zudem war der letzte Schweinekauf Kleines mit gestempelten Urlaubsscheinen ruchbar geworden, was Gottschalk veranlaßte, ihm drei Tage verschärften Arrest anzukündigen, wenn sie erst wieder in ruhiger Stellung lagen.
Das Herumfahren Hauptmann Gottschalks störte die Gruppe Maaßen ungemein. Küppers und Josef Bergmann hatten es übernommen, Gottschalk zu beschäftigen, um ihn von Klein und Müller 17 abzulenken. Feldwebel Maaßen schaltete aus – er mußte den Vorgesetzten markieren. Felix Strathmann war zu einer Art Außenseiter geworden. Er machte zwar noch jede ›Aktion‹, wie es Küppers gebildet bezeichnete, mit, aber er war unlustig und zerfahren.
Hauptmann Gottschalk hielt den Kübelwagen vor Josef Bergmann an, der neben der Straße im Graben hockte, die Hosen heruntergezogen hatte und ein großes Geschäft verrichtete. Eine Weile sah er zu, grinsend unterstützt von dem Cheffahrer Hans Pretzel. Josef Bergmann blickte treuherzig zurück.
»Bald fertig?!« fragte Gottschalk sanft.
»Noch nicht, Herr Hauptmann. Ich bin hartleibig, schon von Kind an! Früher gab mir meine Mutti immer ein Seifenzäpfchen …«
Gottschalk lächelte sanftmütig. »Sie melden sich morgen beim Sani, Bergmann. Sie werden von heute an zu jeder Mahlzeit Rizinus bekommen.«
»Jawoll, Herr Hauptmann!«
Die Gruppe Maaßen war unterdessen weit vorangekommen. Küppers und Klein hatten in einem Bauernhaus Speck entdeckt und drei Flaschen sauren Landwein. »Besser sauer als nichts«, sagte Klein, stieß den wild gestikulierenden Bauern beiseite und verließ den Hof. Als Hauptmann Gottschalk folgte, wagte der Bauer sich nicht aus seiner Stube hervor. Er hockte hinter dem Fenster und war glücklich, daß die Truppe mit den randlosen Helmen
Weitere Kostenlose Bücher