Sie fielen vom Himmel
OP-Schwestern, flink, still, wortlos, seine Gedanken manchmal vorausdenkend, wenn er ein Instrument brauchte. Bestimmt war es Drages erster Kaiserschnitt, woher sollte er ihn kennen? Aber er gab ihm die richtige Schere, um die Aponeurose zu durchtrennen.
Mit zwei Schnitten erweiterte er das Operationsfeld. Unter der Aponeurose spannte sich die Netzhaut der Membran, durch die matt die verschlungene Masse der Eingeweide schimmerte. Über ihr, gewaltig, wie ein praller Ballon, wölbte sich der Uterus.
Dr. Pahlberg zog mit Wundhaken die großen Fleischlappen der Wunde auseinander. Einige blutende Adern klemmte er ab. Gustav Drage reichte ihm die Tupfer … er reinigte die Wunde von Blut und sah zu Krankowski hinüber.
»Puls?«
»In Ordnung.«
Er erinnerte sich eines Ausspruches des Leiters der Gynäkologischen Abteilung. »Zwischen Narkose und Herausheben des Kindes aus dem Uterus brauche ich kaum acht Minuten! Nach der Abnabelung habe ich Zeit, meine Herren! Viel Zeit. Auf keinen Fall darf die Narkose spürbar auf das Kind übergehen! Darum ist die Schnelligkeit der Kaiserschnittgeburt das erste Gebot!«
»Kippen!« sagte Pahlberg laut.
Humpmeier drehte an dem Operationstisch. Die Fläche kippte seitlich nach unten … der Kopf Ginas lag nun tiefer, während die Beine in die Luft nach oben ragten. Ihre langen Locken lagen auf den Knien Krankowskis. Er saß wie versteinert und wagte nicht, sich zu rühren.
Durch das Kippen des Tisches rutschte die Masse der Eingeweide in den Leib zurück. Pahlberg deckte warme Tücher darüber und auch über die Blase, die unterhalb des zerschnittenen Bauchfells hervortrat. Er zog mit scharfen Wundhaken den Einschnitt noch weiter auseinander und stopfte Mulltücher an die Schnittränder. Auf dem Grunde der riesigen Wunde, in der Tiefe des aufgeschnittenen Leibes lag ein massiger, praller Ballon, dem Aussehen nach wie eine große Blase, gefüllt mit Blut. Tief rot schimmerte sie in der starken Lampe, die an einer Leitung niedrig über dem Tisch hing und das Tageslicht verstärkte. Die Gebärmutter, dachte Pahlberg, die Gebärmutter mit dem Kind. Er überblickte den Operationsraum … die blitzenden Klemmen und Haken, die Mulltücher, mit Blut bespritzt … sein Blick glitt weiter über die ruhig atmende Gina und ihr tief liegendes, kleines Gesicht mit den Locken, die auf Krankowskis Schoß lagen.
»In Ordnung!« sagte der Unteroffizier. Er lächelte Dr. Pahlberg schwach an.
Mit einem schnellen Schnitt öffnete Pahlberg den Uterus und die Fruchtblase. Fruchtwasser, trübe, strömte hervor und überschwemmte den Leib Ginas, floß über den Tisch und die Schürze Pahlbergs, über seine Hände und Arme. Mit beiden Händen griff er in die große Wunde und umfaßte den im Becken festgeklemmten Kopf des Kindes. Er zog daran, aber die Preßwehen hatten das Köpfchen schon tief hineingetrieben und fest verankert. Dr. Pahlberg atmete schwer … er zog an dem Kopf und ruckte. »Höchstens acht Minuten, meine Herren!« durchfuhr es ihn. »Vom Schnitt bis zur Abnabelung!« Eine Zange, mein Gott, man müßte eine Zange haben. Ihm fehlten die flachen Schaufeln der Geburtszange, die sich um den Kopf des Kindes legen und es aus der Tiefe ziehen. Eine Geburtszange in einem Feldlazarett, welch ein Widersinn! Er dachte an die fehlende Rillensonde und an den Tod des Mannes mit der zerrissenen Milz. Sollte es wieder so sein? Sollte wieder ein Mensch unter seinen Händen sterben, weil ein dummes Instrument fehlte, ein Instrument, das der Krieg nicht braucht, um Beine und Arme zu amputieren oder zerschossene Leiber zu flicken? Er griff in die Tiefe des Uterus und der gespaltenen Fruchtblase. Die Finger seiner Hand legten sich tastend über die Augenhöhlen des Kindes. Dann zog er, fest, er preßte den Kopf nach oben. Schweiß rann ihm über die Augen, der Geruch von Äther, Blut, Jod und trübem Fruchtwasser nahm ihm fast den Atem … da bewegte sich das Kind … es glitt aus der Umklammerung des Beckens und lag in seiner Hand … ein kleiner, rosiger, nasser Körper, ein rundes, dickes Köpfchen mit schwarzen Haaren. Aus dem Muskel, dem Uterus, quoll Blut. Ein merkwürdiger, süßlich-fauliger Geruch stand im Raum.
»Klammern!« rief Pahlberg.
Gustav Drage schob sie in seine Hand. Er klammerte die Nabelschnur ab und durchschnitt sie zwischen den beiden Klemmen. Neben ihm tauchten zwei Hände auf … Humpmeier nahm das Kind und klopfte es auf den rosa schimmernden, nassen Hintern. Er lachte dabei
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