Sie fielen vom Himmel
hinab auf die Feuerwalze, die über dem Ort Cassino lag.
»Wenn, Carlo –?« fragte sie zitternd.
»Der Krieg geht über uns hinweg, Julia. Wir wissen nicht, ob wir ihn überleben.« Er legte den Arm um ihre Schulter. »Sieh dir Cassino an. Nicht ein Haus steht mehr. Sogar die Kirche und der Palast des Erzbischofs sind wegrasiert. Manchmal glaube ich, wir kommen hier aus diesen Kellern nicht mehr heraus. Ich habe Angst, Julia …«
»Aber Carlo!« Sie streichelte wieder über seinen Arm, ihre Finger waren lang und dürr, Totenhände, mit fahler Haut überspannt. »Das Kloster steht unter dem Schutz Gottes. Hier sind wir sicher.« Sie sah empor und streckte die Hand aus in den Himmel. »Sieh einmal, Carlo … Flugzeuge. Viele Flugzeuge. Sie fliegen sicherlich nach Rom!«
Sie sahen empor in den blauen Himmel, den 142 ›Fliegenden Festungen‹ entgegen. Carlo nickte. Er wollte die Maschinen zählen, aber er gab es auf, als er sah, daß es zu viele waren. »In 10 Minuten heulen in Rom die Sirenen. Die armen Menschen, die es trifft. Mein Gott, wäre dieser Krieg doch zu Ende! Warum machen sie nicht Schluß?«
Das Donnern der Motoren war über ihnen. Sie sahen deutlich die Sterne auf den blitzenden Rümpfen, die Glaskanzeln, die rasenden Propeller, die Bordkanonen und eingezogenen Fahrwerke. Die Luft war ein einziges Brummen, das bis zu der Mauer hinabvibrierte, an der sie saßen, umarmt, Kopf an Kopf, den Blick empor in den Himmel zu den stählernen Vögeln. Das Brautpaar Julia und Carlo.
Da öffneten sich die Bombenschächte, ein schwarzer, eiserner Regen fiel auf das Kloster; die Basilika war die erste, die einstürzte, das Herz Monte Cassinos. In seinem Zimmer sprach Erzabt Diamare mit seinen Mönchen gerade das Ende des Stundengebetes »Non … pro nobis Christum exora …«
Der Schrei Julias ging unter in dem Bersten der ersten Bombe. Umarmt, eng aneinandergeschmiegt, fegte der Luftdruck Carlo und Julia von der Brüstung der Loggia del Paradiso hinein in den Zentralhof, hinein in die Einschläge der nächsten Bomben und den Brand der Phosphorbomben, die den Zentralhof umpflügten wie die Schneide eines riesigen Pfluges. Ein mächtiger Quaderstein, von der zusammenstürzenden Mauer des großen Refektoriums hinübergeschleudert, begrub Carlo und drückte seinen zuckenden Körper tief in den Staub, zermalmte und zerquetschte ihn bis zur Unendlichkeit. Julia lag an den Stufen zum Hof der Wohltäter … ein heißer Schlag war durch ihren Körper gefahren, ehe sie die Besinnung verlor. Sie lag, mit weißgrauem Staub überzogen, mit dem Kopf nach unten auf den zerborstenen Stufen, und aus den Stümpfen ihrer beiden abgerissenen Füße tropfte träge das Blut in den Schutt. Noch klemmte die Gewalt des abtrennenden Schlages die Adern zusammen.
Durch die Trümmer der Basilika rannten die schreienden Menschen. Sie stürzten sich in die Schuttberge und in das rasende Feuer der Artillerie. In Rauchwolken gehüllt, niedergemäht von den Splittern und stürzenden Steinen, zerfetzt von den hellen Detonationen, warfen sie die Arme empor und schrien Gott um Hilfe an. – In den Kellern knieten die Menschen. Erzabt Diamare stand allein auf dem schwankenden Boden und hatte die Arme erhoben. Er erteilte mit tonloser Stimme die Absolution an alle, die vor ihm knieten, an alle, die im Kloster waren und draußen unter den Bomben und Granaten mit zerrissenen Leibern durch die Luft wirbelten. Das Ende der Welt war gekommen … das Ende für Diamares Seele, über dessen achtzigjährigem Haupt sein Kloster unterging in einem Inferno, das der Geist nicht mehr begriff und das Auge nicht mehr glaubte.
Durch die Schuttberge der Basilika irrten drei Kinder. Sie hatten sich gegenseitig an die Hand gefaßt und blieben mit weit aufgerissenen Augen stehen, wenn die Granaten vor ihnen in die Trümmer schlugen oder neue Bomben vom Himmel torkelten. Ihre Eltern waren geflüchtet … in einen Keller, in eine Krypta, in einen Gang. Von irgendwoher schrie eine Frauenstimme, grell, langgezogen, tierisch. Sie verstummte plötzlich in einer Rauchwolke.
Die Kinder irrten weiter. Das kleinste, ein Mädchen, weinte. Aus seinen großen, das Grauen nicht verstehenden Augen rollten die Tränen über die schmutzigen Backen. »Mamma!« rief es immer. »Mamma! Mamma!« Es wollte sich von den anderen losreißen, aber der Junge, der es festhielt, umklammerte die kleine Hand. Als eine Granate über ihnen orgelte, drückte er die beiden Mädchen in die Trümmer
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